Hin und wieder gelangen Objekte in die Sammlung des DMMI, die weder in einer ärztlichen Praxis noch in einem Krankenhaus verwendet wurden. Warum Kunstobjekte wie diese von Carl Kauba (1865-1922) gefertigte Bronzeskulptur für die Medizingeschichte dennoch interessant sind, soll im Folgenden erläutert werden.
Die als „Kerngesund“ betitelte, um 1910 geschaffene Kleinplastik ist ein Meisterwerk der „Wiener Bronze“. Mit diesem Begriff aus der Kunstgeschichte werden Skulpturen bezeichnet, die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts von Wiener Kunsthandwerkern gefertigt wurden. Die Donaumetropole stieg zu dieser Zeit zu einem Zentrum des Bronzegusses auf, seine Blütezeit erlebte das Handwerk zwischen 1880 und 1930. Die Model zu den Gussformen wurden meist von Malern oder Bildhauern gestaltet, die damit ihre auftragslosen Zeiten überbrückten. Bei den Damen des Wiener Bürgertums waren kleine, verspielt-skurrile Tierminiaturen sehr beliebt, die menschliche Verhaltensweisen nachahmten, wie das „Froschorchester“ oder der „Hase als Jäger“. Die männliche Kundschaft hingegen erfreute sich eher an erotischen Kleinplastiken wie der orientalischen Tänzerin, deren Gewand aufklappbar war und den Blick auf den nackten Körper freigab. Zu den erotischen Skulpturen muss wohl auch die hier gezeigte gezählt werden, womit wir einen ersten Hinweis auf die Klientel erhalten, für die derartige Kunstobjekte geschaffen worden sind.
Auf den ersten Blick zeigt Kaubas Skulptur das Verfahren der Auskultation mit dem Stethoskop, das um 1900 in den Arztpraxen längst zur Routine geworden war: Ein Arzt hört eine Patientin ab, um verdächtige Geräusche in der Lunge besser hören zu können. Das Stethoskop, welches diese Töne hörbar machen sollte, hält er dabei in seiner rechten Hand. Haben wir es also lediglich mit der künstlerischen Darstellung einer alltäglichen diagnostischen Methode zu tun? Dies darf bezweifelt werden. Bei genauerer Betrachtung fallen nämlich der Altersunterschied und der erregte Gesichtsausdruck der beiden Personen auf. Sowohl der Arzt als auch seine Patientin scheinen die Berührung sichtlich zu genießen. Dabei sollte das Stethoskop bei seiner Einführung um 1820 derartige Gefühlsregungen eigentlich verhindern, indem zwischen dem Körper der Frau und dem Ohr des Arztes ein Hilfsinstrument geschaltet wurde.
Der Erfinder der Auskultation, der seit 1816 am Pariser Hopital Necker tätige René Laennec, stand wie viele seiner Kollegen vor dem Problem, dass das direkte Abhören von Patientinnen deren Schamgefühl zutiefst verletzte. Zu dieser Zeit war es für bürgerliche Frauen nicht schicklich, ihr Kleid für eine ärztliche Untersuchung soweit herunterzuziehen, dass der Arzt sein Ohr auf die entblößte Brust oder den Rücken legen konnte. Laennec behalf sich daher mit einem zusammengerollten Bogen Papier. Erstaunt über die reine und deutliche Wahrnehmung der Töne aus dem Brustraum entwickelte er bald darauf ein spezielles Rohr aus Holz. Das nun „Stethoskop“ gennannte Instrument verstärkte nicht nur die Schallereignisse, sondern sorgte auch für die gebotene Distanz zwischen Arzt und Patientin. Kauba ging es folglich gar nicht um eine realistische Darstellung einer Auskultationsszene.
Für welche Käuferschicht hatte Kauba diese Skulptur wohl gefertigt? Sie schmückte vermutlich das Herrenzimmer eines Arztes, in das dieser sich nach dem Abendessen mit seinen (männlichen) Kollegen zurückzog, um bei Zigarre und Wein zu plaudern. Und dort, beim Betrachten dieser Skulptur, wird sicherlich die eine oder andere pikante Anekdote erzählt worden sein, die sich im Rahmen einer Auskultation zugetragen haben mag. Die Statue ist daher nicht als detailgetreue Abbildung einer ärztlichen Routineuntersuchung zu lesen, sondern als eine in Bronze gegossene und kunstvoll ziselierte Männerphantasie
Literatur:
Jens Lachmund, Der abgehorchte Körper. Zur historischen Soziologie der medizinischen Untersuchung, Opladen 1997.
Dietmar E. Seiler, Peter Stauber, Wiener Bronzen. Die Bronze-Miniaturen der Jahrhundertwende, Augsburg 1991.
Autor:
Dr. Alois Unterkircher
PDF der Objektgeschichte im Bayerischen Ärzteblatt