Ophthalmotrop

In den 1980er Jahren konnte das Deutsche Medizinhistorische Museum durch Unterstützung des Freistaates Bayern und privater Spender die ophthalmologische Sammlung des Augenarztes Dr. Thilo von Haugwitz erwerben. Die Sammlung beinhaltet über 700 Objekte zur ophthalmologischen Diagnostik und Therapie. Auch das Ophthalmotrop aus dem Jahr 1857 nach Christian Georg Ruete (1810–1867), ein eindrucksvolles Lehrmodell, das die Drehpunkte der Augen und das Zusammenspiel der beteiligten Muskeln demonstrieren soll, ist Teil dieser Sammlung.

Ruete wurde nach seinem Studium und der anschließenden Lehrtätigkeit in Göttingen 1852 als ordentlicher Professor der Augenheilkunde und Direktor der Augenheilanstalt nach Leipzig berufen. Dort veröffentlichte er 1857 eine Monografie zu dem von ihm entwickelten Augenmodell unter dem Titel „Ein neues Ophthalmotrop. Zur Erläuterung der Functionen der Muskeln und brechenden Medien des menschlichen Auges”. Die Basis dieses Modells bildet ein hölzerner Kasten, auf dem zwei Säulen montiert sind. Diese tragen ein Gestell aus Messing, das „in seinen Seitenbalken einen horizontalen Durchschnitt der Nase mit den inneren Wänden der Augenhöhlen darstellt. Nach vorn geht […] an jeder Seite ein Ring […] aus, der die Augenhöhle repräsentirt. Durch jeden dieser Ringe gehen schräg von hinten nach vorn 4 Schrauben […], die den Augapfel in Form eines Nussgelenkes, wie das der Fettpolster der Augenhöhle, berühren.” Die aus Buchsbaumholz gefertigten Augäpfel sind in Richtung der optischen Achse durchbohrt und mit einem beweglich gelagerten optischen Apparat versehen.

Durch Herausziehen der „Kornea” kann eine Akkommodation nachgeahmt werden. An den insgesamt zwölf Ansatzpunkten der Augenmuskulatur sind geflochtene Seidenfäden befestigt. Diese laufen auf der Rückseite des Modells über eine Millimeterskala in den Holzkasten und sind dort einzeln an kleinen Federn fixiert. Die Skala ermöglicht es, die jeweilige Verkürzung oder Verlängerung der beteiligten Muskulatur bei jeder Augapfelstellung abzulesen.

Ausgangspunkt dieses Ophthalmotrops war ein monokulares Augenmodell, das Ruete bereits 1846 vorgestellt hatte. Der Augapfel war mit einer Aufhängung nach Cardano befestigt, die sich jedoch als unbrauchbar erwies, denn eine der drei Drehungsachsen – die für die schiefen Augenmuskeln – war nicht veränderlich, sondern behielt ihre Lage in dem Modell des Augapfels unverändert bei. Diesen Fehler nahm Ruete zum Anlass, weitere Forschungsjahre in die Entwicklung eines neuen Ophthalmotrops zu investieren. Als erfolgversprechende Grundlage diente ihm ein Augenmodell, das er nach eigenen spekulativen Vorgaben von einem Leipziger Mechaniker fertigen ließ.

Um darauf aufbauend ein wissenschaftlich genügendes Modell entwerfen zu können, benötigte Ruete Nachweise über Länge, Lage, Ursprung und Insertion der Augenmuskeln. Aus diesem Grund suchte er die Unterstützung von „Herrn Breyter […] einem tüchtigen mathematisch gebildeten Mediciner“ und des Pathologen Theodor Weber (1829–1914). Letzterer stellte Ruete „vier ganz frische Köpfe von männlichen Selbstmördern” für entsprechende Untersuchungen zur Verfügung. Für die präzise Vermessung der Augenmuskulatur war eine aufwendige Präparierung der Köpfe notwendig: „Nachdem die Schädeldecke nahe über der Orbita abgesägt war, wurde der Kopf so aufgestellt, dass er, soweit es das Augenmaß gestattete, genau die Stellung hatte, die er im Leben bei aufrechter Stellung zu haben pflegt. […] Darauf wurden beide Augen bis zur normalen Spannung aufgeblasen, dann horizontal parallel gerichtet und durch jedes Auge ein feiner, sehr zugespitzter Stahldraht in der Richtung der optischen Axe bis hinten in den Knochen der Orbita langsam rotirend durchgestossen, um die Augen in ihrer Lage zu fixiren und um an den Sehaxen messen zu können.” Um eine Verschiebung der Augen und der bereits vorgenommenen Präparierung unmöglich zu machen, wurde Gips über die geschlossenen Augenlider gegossen. Diese Untersuchungen lieferten wichtige Ergebnisse, die in den Bau des Ophthalmotrops von 1857 eingingen.

Ruete hatte mit diesem Augenmodell sein selbstgestecktes Ziel erreicht. Doch sein Ophthalmotrop war zu aufwendig und zu teuer, um sich in der Breite durchzusetzen. In den folgenden Jahren entwickelten andere Augenärzte ähnliche Modelle, entschieden sich dabei aber für einfachere, stärker abstrahierende Lösungen und griffen dabei auch wieder auf die von Ruete abgelehnte Aufhängung nach Cardano zurück.

 

Literatur:

Haugwitz, Thilo von: Ophthalmologisch-optische Untersuchungsgeräte. Stuttgart 1981. (Bücherei des Augenarztes, 85)

Ruete, Christian Georg Theodor: Das Ophthalmotrop. Göttingen 1846

Ruete, Christian Georg Theodor: Ein neues Ophthalmotrop. Zur Erläuterung der Functionen der Muskeln und brechenden Medien des menschlichen Auges. Mit einer Kupfertafel. Leipzig 1857


Autorin:

Monika Weber, M.A.
Kunsthistorikerin
Wissenschaftliche Volontärin

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