Diesmal geht es um ein Objekt, das auf den ersten Blick eher „unmedizinisch” wirkt: eine Muskatreibe. Sie ist aus einem Stück Eisenblech gefertigt, in das vorher mit einem spitzen Punziereisen von der Rückseite aus in kreisförmiger Anordnung kleine Löcher getrieben wurden, deren scharf aufgeworfene Ränder als Reibe dienten. Anschließend wurde das Blech über einen Stab gebogen und mit einem Falz zum Zylinder geschlossen. Im Inneren der Reibe konnte eine Muskatnuss verstaut werden, bevor man sie in die Eisenhülse steckte und mit dem Deckel verschloss, der die Initialen seines Besitzers trug.
Vermutlich war diese Muskatreibe dafür gedacht, auf Reisen oder zu Empfängen mitgenommen zu werden, denn bis zum 18. Jahrhundert war es üblich, sein eigenes Besteck mit sich zu führen. In einigen Sammlungen sind kostbar gearbeitete Muskatreiben erhalten, die ganz offensichtlich solchen Repräsentationszwecken dienen sollten. Das Ingolstädter Eisenmodell mit der etwas unbeholfen ausgeführten Gravur der Initialen ist im Vergleich dazu eine eher schlichte Variante.
Doch nicht nur die Reiben selbst kündeten vom Reichtum ihrer Besitzer, auch ihr Inhalt, die Muskatnüsse, waren ein ausgesprochener Luxusartikel aus dem fernen Orient. Der Muskatnuss-Baum (Myristica fragrans) wuchs auf den Inselgruppen der Molukken und der Banda-Inseln zwischen Neuguinea und Borneo (heute: Indonesien, Provinz Maluku). Sein Same, die „Muskatnuss”, wurde durch die Vermittlung der Araber im Abendland bekannt. Seit dem 12. Jahrhundert wird die Muskatnuss in vielen europäischen Quellen erwähnt – man denke nur an die muskathaltigen „Nervenkekse” der Hildegard von Bingen. Im Mittelalter schätzte man die geriebene Muskatnuss und das aus ihr gewonnene, stark aromatische Öl als Duftstoff, Gewürz und Arzneimittel, wobei diese drei Verwendungsformen im Sinne der antiken Diätetik fließend ineinander übergingen.
In der humoralpathologisch fundierten Ernährungslehre wurden der Muskatnuss die Qualitäten „heiß” und „trocken” zugeschrieben. Ihre Anwendung empfahl sich demnach bei Krankheiten, die als „kalt” und „feucht” klassifiziert wurden. Dafür ein Beispiel: Der Vater des Botanikers Caspar Bauhin erkrankte schwer, nachdem er das Wasser eines Bergbaches (kalt, feucht) getrunken hatte, und behandelte sich erfolgreich durch die rasche Einnahme von vier Muskatnüssen (warm, trocken).
In Pestzeiten waren die Muskatnuss und andere stark duftende Gewürze wie Nelken, Zimt oder Piment besonders gefragt, denn sie galten als Abwehrmittel gegen die Pest. Ihr starker Geruch sollte den gefürchteten „Pesthauch” vertreiben. So wurde Muskatnussöl zur Herstellung von Duftessigen verwendet oder in Balsame eingerührt, die in Riechkapseln am Leib getragen wurden. Auch in der „Schnabelnase” der Pestarztmasken befanden sich solche Duftträger, etwa mit Duftessig getränkte Schwämme.
Die medizinische Anwendung der Muskatnuss belegt auch eine handschriftliche Rezeptsammlung aus dem Jahr 1715, die im Deutschen Medizinhistorischen Museum aufbewahrt wird. Hier findet sich die Anleitung für nichts weniger als ein „Pulver des Lebens”. Das Pulver besteht aus 15 Zutaten zu gleichen Teilen, darunter „Muscatnuß / Muscatblüth”, ferner „Zimmet [Zimt] / Imber [Ingwer] / Negelein [Gewürznelken]” – alles exotische Gewürze, die früher in der Apotheker als Arzneistoffe gehandelt wurden, und deren wohltuende Wirkung wir zurzeit wieder in Form von Lebkuchen oder Glühwein genießen.
Moritz Herrmann: Die goldene Frucht Ostindiens – Eine Warengeschichte der Muskatgewürze. In: Skriptum 2 (2012), Nr. 1, S. 30–62 [www.skriptum-geschichte.de/?p=1075; Zugriff am 15.11.2013]
Heiner Meininghaus: Muskatreiben und Pomander für edle Gewürze. In: Weltkunst 17 (2001), S. 2220–2221
Wolfgang Schneider: Lexikon zur Arzneimittelgeschichte. Bd. V/2: Pflanzliche Drogen (D-O). Frankfurt 1974, S. 339–343
Prof. Dr. Marion Ruisinger