Leistenbruchreponierer

Bislang wurden in dieser Serie Sammlungsstücke vorgestellt, in denen sich der innovative Geist eines Arztes, das manuelle Geschick eines Handwerkers oder die kreative Gestaltungskraft eines Künstlers manifestierten. Immer handelten diese Dinge vom Erhalt der Gesundheit oder von der Linderung körperlichen Leidens – aber der Kranke, um den es dabei ging, blieb unsichtbar, er ließ sich allenfalls als Gegenstand des ärztlichen Handelns erahnen. Nicht so bei der hier vorgestellten Gerätschaft, die ein völlig anderes, denkbar enges Verhältnis von Objekt und Patient verkörpert.

Das merkwürdig unbeholfen wirkende Gerät gehört zu den jüngsten Neuzugängen der Museumssammlung. Sein Weg nach Ingolstadt wurde durch eine E-Mail gebahnt, in der ein Kollege aus Oberbayern der Museumsleitung ein „kurioses Bruchband” anbot, das seit Jahren in seinem Schrank in der Klinik läge. Das Gerät stamme von einem Landwirt, der es selbst gebastelt habe. Er reponierte damit seinen Leistenbruch, um seine Arbeit verrichten zu können. Diese Lösung erwies sich mit der Zeit wohl doch als zu beschwerlich, so dass der Bauer sich zur Operation durchrang und mit seinem Bruchband die Klinik aufsuchte. Nach der Behandlung überließ er dem Chefarzt der Chirurgischen Klinik das nun überflüssig gewordene Kuriosum als Andenken.

In diesem spröden Objekt tritt uns ein ausgesprochen selbstbestimmter Kranker entgegen. Als Landwirt war er gewöhnt, zu improvisieren und praktische Lösungen zu finden. Auch bei Erkrankungen seines Viehs legte er zunächst selbst Hand an, bevor der Tierarzt gerufen wurde. Vermutlich war es für ihn ganz naheliegend, auch für sich selbst ein entsprechend handfestes Hilfsmittel zu ersinnen. Das Prinzip des Bruchbandes war ihm offensichtlich bekannt, und so galt es lediglich, aus dem verfügbaren Material ein Gerät zu konstruieren, das ebenfalls einen lokalen Druck auf die Bruchpforte ausübte. Er bog einen mit Kunststoff ummantelten, dünnen Metallstab zurecht und schnitzte einen passenden Holzknauf, den er auf das umgebogene Ende steckte. Das Ergebnis bot zwar einen geringeren Tragekomfort als die handelsüblichen, gepolsterten Ledermodelle, dürfte aber doch seinen Zweck getan haben.

Der Chirurg, bei dem sich der Landwirt zur Operation vorstellte, kritisierte vermutlich weniger das selbstgebastelte Modell als vielmehr die Anwendung von Bruchbändern im Allgemeinen. Seitdem die operative Versorgung von Leistenbrüchen durch eine verfeinerte Operationsmethode und ein reduziertes Operations- und Narkoserisiko ungefährlich geworden ist, gibt es keinen Grund mehr, auf Bruchbänder zurückzugreifen, die das Risiko einer Einklemmung nie ganz ausschließen können.

Die längste Zeit war die Operation allerdings die riskantere Variante für den Patienten. Zudem griffen die frühneuzeitlichen „Bruchschneider” in der Regel erst dann zum Messer, wenn sich die Inguinalhernie zur Skrotalhernie ausgeweitet hatte. Dieser „Bruchschnitt” wurde häufig unter Mitnahme des Hodens durchgeführt. Kein Wunder, dass die Bruchpatienten früher durch die tägliche Anwendung eines gut sitzenden Bruchbandes versuchten, diesem Schicksal zu entgehen. So riet auch Lorenz Heister 1719 in seiner Chirurgie, „daß alle die, welche Därm-Brüche haben, es seye nun in der Leiste oder im Gemächt, niemals, ohne ein gutes Bruchband anzuhaben, seyn sollen”.

Das improvisierte Bruchband des oberbayerischen Bauern hat keinen materiellen Wert. Für die Sammlung des Deutschen Medizinhistorischen Museums ist es dennoch wertvoll, weil es in dem sonst eher arztdominierten Bestand die Patientenperspektive vertritt. Falls Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, in ihrem „Schrank in der Klinik“ ähnliche Kuriosa aufbewahren sollten, denken Sie bitte an die Sammlung in Ingolstadt!

 

Literatur:

Lorenz Heister: Chirurgie. Nürnberg 1719


Autorin:

Prof. Dr. Marion Ruisinger

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