Kinderkorsett

Das orthopädische Kinderkorsett aus Schmiedeeisen gehört zu den herausragenden Objekten der Museumssammlung – und dies nicht nur wegen seiner Seltenheit, sondern auch wegen seiner Nähe zum historischen Patienten und der Assoziationen, die es dadurch beim Betrachter auslöst. Fast unwillkürlich ergänzen wir das Korsett vor unserem geistigen Auge durch das Kind, für das es angefertigt wurde, und das vermutlich an einer Wirbelsäulenverkrümmung litt. Wir ahnen die Eltern, die voll Sorge um ihr Kind keine Kosten und Mühen scheuten, um den Folgen seiner Krankheit zu begegnen und es möglichst gesund in das Erwachsenenleben zu entlassen. Und wir können uns den Schmied vorstellen, der sonst wohl eher Harnische anfertigte und nun zusammen mit den Eltern und dem beratenden Arzt oder Wundarzt das Kind genau betrachtete, skizzierte und vermaß, um die Wünsche seiner Kunden möglichst gut erfüllen zu können.

Der Schmied gab sich offensichtlich Mühe und konstruierte das Korsett sehr durchdacht und zugleich kunstvoll: Die beiden Hüftschalen gehen in Zahnstangen über, die eine stufenlose Anpassung des Hüft-Achsel-Abstandes ermöglichen. Auf diese Weise konnte das Korsett an das Längenwachstum des Kindes angepasst werden und dabei ständig einen sanften Zug auf die Wirbelsäule ausüben, der dem Fortschreiten der Verkrümmung entgegenwirkte und die bereits bestehende Verformung abmilderte. Die Weite des Korsetts ließ sich durch einen verstellbaren Riegel im Brustbereich korrigieren. Um den Tragekomfort zu erhöhen, war das gesamte Korsett mit Leder unterfüttert und im Bereich von Achsel und Hüfte vermutlich zusätzlich abgepolstert. Die Lochreihen am Rand der Eisenteile waren zum Anheften dieser Lederauskleidung gedacht. Die floralen Durchbrechungen dienten dem Korsett nicht nur zur Zierde, sondern verringerten auch sein Gewicht und trugen dadurch ebenfalls zum Tragekomfort bei. Nur im Bereich des rechten Schulterblattes findet sich eine Verstärkung in Form einer zusätzlichen Metallplatte, was darauf schließen lässt, dass hier dem Vorstehen des Schulterblattes gezielt entgegengewirkt werden sollte.

Wer das Kinderkorsett persönlich in Augenschein nehmen möchte, findet es zurzeit nicht im Deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt, sondern in den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim. Dort illustriert es noch bis Ende Juli in der Sonderausstellung „Die Medici. Menschen, Macht und Leidenschaft” das Schicksal von Kardinal Carlo de’ Medici (1596–1666). Dieser wurde für ein männliches Mitglied der Familie zwar ungewöhnlich alt, litt aber zeitlebens an einer Reihe schwerer Erkrankungen. Unter anderem fiel bei ihm im Alter von acht Jahren eine Wirbelsäulenverkrümmung auf, zu deren Behandlung man den berühmten Anatomie- und Chirurgieprofessor Girolamo Fabrizio d’Acquapendente aus Padua hinzuzog. Fabrizio empfahl, wie aus der überlieferten Korrespondenz hervorgeht, ein Korsett aus Eisen – möglicherweise eine ähnliche Konstruktion wie das Ingolstädter Exemplar.

 

Literatur:

William R. Albury, Marco Matucci-Cerinic, G. M. Weisz: Carlo di Ferdinando I. (1596–1666). Ein Fall von extremer Langlebigkeit trotz lebenslanger Krankheit. In: Die Medici. Menschen, Macht und Leidenschaft, hrsg. v. Alfried Wieczorek, Gaëlle Rosendahl, Donatella Lippi. Regensburg 2013 (Publikationen der Reiss-Engelhorn-Museen 54), S. 365–371.

Marion Ruisinger (Hrsg.): Mit Sinn und Verstand. Eine Ausstellung für Christa Habrich. Ingolstadt 2010 (Kataloge des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt 35), S. 60f.


Autorin:

Prof. Dr. Marion Ruisinger

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