Wer hätte gedacht, dass das DMMI einmal eine blaue Sammeltonne für Altpapier in seine Sammlung aufnehmen würde? Auf den ersten Blick hat das doch wenig mit Medizingeschichte zu tun! Bei genauerem Hinsehen offenbart die Tonne jedoch Details, die über das Recyclen von Wertstoffen hinausgehen. Im Deckel befindet sich ein breiter Schlitz, ein Vorhängeschloss verhindert das unbefugte Öffnen. An der Vorderseite klebt gar ein Schild: „Mundschutzmasken bitte hier einwerfen“. Offensichtlich war diese Tonne gar nicht für Altpapier, sondern für Schutzmasken gedacht – was sie für die Medizingeschichte sehr wohl interessant macht. Steht die Tonne doch für die Lieferengpässe bei Schutzmasken während der ersten Phase der Covid-19-Pandemie und somit für „Spahns Maskenproblem“. Und sie steht für den Einfallsreichtum, dieses zeitweise nicht mehr erhältliche Medizinprodukt durch Alternativen zu ersetzen.
Im Frühjahr 2020 war der Markt für Schutzmasken leergefegt. Die Produktionsstätten, zu über 90 Prozent in China und dort ausgerechnet in der von Covid-19 am stärksten betroffenen Provinz Hubei angesiedelt, waren geschlossen, die weltweiten Lieferketten unterbrochen. Bilder von italienischen Pflegekräften, die sich in Müllsäcke hüllten oder Taucherbrillen aufsetzten, gingen um die Welt. Praktisch über Nacht fehlte es ausgerechnet an jenen Dingen, die zum Schutz vor dem Virus von zentraler Bedeutung waren: Mundschutzmasken, Handschuhe und Kittel. Auch in Deutschland drohten Engpässe. Anfang März warnte die Kassenärztliche Vereinigung, dass in den nächsten Monaten rund 115 Millionen OP- und 47 Millionen FFP-Schutzmasken allein im ambulanten Bereich benötigt würden. Doch die Arztpraxen, Krankenhäuser und Seniorenheime hatten ihre Reserven aufgebraucht. Bald folgten die ersten Aufrufe an die Bevölkerung, keine medizinischen Masken zu horten und stattdessen selbst genähte Mundschutze zu tragen, zumal immer mehr Länder eine Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr und in Geschäften erließen.
Zu dieser Zeit gab es in vielen Städten und Gemeinden Spendenaufrufe für sogenannte „Community-Masken“. In Dortmund etwa vernetzten sich Spender und Empfänger über ein Online-Kontaktformular. Im südpfälzischen Landau stellte man eine Tonne vor der Zweigstelle des DRK auf, die eingeworfen Stoffe und Gummibänder wurden zweimal wöchentlich zu ehrenamtlichen Näherinnen gebracht. Als Abgabestellen für selbst genähte Schutzmasken fungierten auch Stadtteiltreffs (Emden), Landratsämter (Saarlouis) oder die Rathauspforte (Leverkusen, Braesweiler). Vielerorts stellte man spezielle Sammelbehälter auf, um die zu dieser Zeit herrschenden Kontaktverbote befolgen zu können.
Auch vor dem Eingang des Rathauses in Ingolstadt stand 2020 von Anfang April bis Ende Mai eine Sammeltonne, in die die Bevölkerung selbst genähte Mundschutze einwerfen konnte. Die Idee kam vom Leiter des Städtischen Fuhrparks. Eigentlich war dieser für die Beschaffung und Verteilung von Desinfektionsmitteln und Schutzkleidung zuständig, die nur noch über diverse Umwege zu bekommen waren. Beispielsweise holte er zwei vom Freistaat bereitgestellte Stoffballen zum Herstellen von FFP2-Mundschutzen nach Ingolstadt und lieferte diese an das Stadttheater und die Lebenshilfe. Er sorgte aber auch für die Aufstellung der Tonne und organisierte das Einsammeln, Zwischenlagern und Verteilen der Maskenspenden.
Die „Ingolstädter Maskentonne“ reiht sich demnach ein in eine Vielzahl lokaler Bemühungen zur Schließung der Versorgungslücken bei Schutzmasken. Die Versäumnisse von Bund, Ländern und Kommunen bei der vorsorglichen Einlagerung von Kitteln, Handschuhen und Atemmasken konnten dadurch etwas aufgefangen werden.
Die Tonne konnte im Herbst 2020 für die Sammlung des DMMI übernommen werden und stand im Zentrum der Sonderausstellung „Die Ingolstädter Maskentonne. Eine Corona-Ausstellung mit medizinhistorischen Bezügen“.
Literatur:
Greta Butuci, Johanna Lessing, Alois Unterkircher, Im Netzwerk der Dinge: Die „Ingolstädter Maskentonne“ als ungewöhnliches Objekt der Covid-19-Pandemie, in: Jan Beuerbach, Silke Gülker, Uta Karstein und Ringo Rösener (Hg.), Covid-19: Sinn in der Krise. Kulturwissenschaftliche Analysen der Corona-Pandemie, Berlin/Boston 2021, 373–391.
Autor:
Dr. Alois Unterkircher