Im „himmlischen Ärztehaus” tummeln sich die unterschiedlichsten Heiligen. sowohl, was ihre Zuständigkeit, als auch, was die Art der Zuschreibung dieser Zuständigkeit anbelangt: Blasius, der als Arzt und Bischof Heilwunder vollführt haben soll; Dionysius, dessen Köpfung ihn zum Fürbitter für alle von Kopfschmerzen Geplagten werden ließ; und Walburga, in deren Grabkammer sich heute noch eine Flüssigkeit ansammelt, die als heilkräftig gilt, um nur einige zu nennen. Das Muster dieser Zuschreibung unterschied sich je nach Ausgestaltung der Vita der jeweiligen Heiligen, mal diente ihr Leben, mal ihr Leiden und mal ihr Leichnam als Anknüpfungspunkt.
Zu den kollektiven Katastrophen, in denen sich die Menschen in ihrer Not an heilige Fürsprecher wandten, gehörten die großen Seuchenzüge. Es ist leicht nachvollziehbar, dass ein Heiliger, der wie Rochus der Legende nach nicht nur Pestkranken geholfen, sondern sogar die eigene Pestkrankheit mit göttlicher Hilfe überwunden hatte, zu einem wirkungsvollen Hoffnungsträger wurde, wenn „das große Sterben” über eine Stadt kam.
Man erkennt den Hl. Rochus an seiner Pilgerkleidung mit Hut, Mantel, Stab und Muschel, v.a. aber an der Wunde, die er durch Anheben seines Gewandes präsentiert. Es handelt sich dabei um eine eröffnete Pestbeule, also einen durch die Pest infizierten und angeschwollenen Leistenlymphknoten. Aus Gründen der Schicklichkeit pflegte man die Pestbeule des Heiligen allerdings nicht in der Leistenregion, sondern etwas weiter unten am Oberschenkel darzustellen.
Rochus, so erzählt die Legende, soll um 1295 als Sohn wohlhabender Eltern in Montpellier geboren sein. Nach deren Tod verteilte er sein Vermögen an die Armen und zog als Pilger nach Rom. Unterwegs heilte er Pestkranke durch das Kreuzeszeichen, darunter einen Kardinal. Als er auf dem Rückweg selbst an der Pest erkrankte, zog er sich in einen Wald zurück. Dort versorgte ihn ein Hund mit Brot und ein Engel salbte seine Wunden. Der reiche Besitzer des Hundes wurde von Rochus zu einem Leben in freiwilliger Armut bekehrt. Nach seiner Heimkehr wurde Rochus als vermeintlicher Spion festgenommen und in den Kerker geworfen. Dort starb er fünf Jahre später unter wunderbaren Umständen: Licht strahlte aus seiner Zelle, und neben dem Toten fand man eine Schrifttafel, die ihn als Fürbitter in Pestnöten empfahl. Erst jetzt erkannte sein Onkel, der Herr der Stadt, Rochus an einem kreuzförmigen Muttermal wieder.
Im späten 15. Jahrhundert wurde Venedig zum Zentrum der Rochusverehrung. Nachdem der venezianische Staatsmann Francesco Diedo 1478 eine Lebensbeschreibung des Heiligen verfasst hatte, kam es in rascher Folge zur Gründung einer Rochusbruderschaft, zur Überführung der Reliquien nach Venedig und zum Bau der Rochuskirche.
Für den deutschsprachigen Raum wurde das vorreformatorische Nürnberg zum Mittelpunkt des Rochuskultes. Ihren Weg von Venedig über die Alpen hatte die Rochusverehrung durch die Nürnberger Patrizierfamilie Imhoff gefunden, die im Fondaco dei Tedeschi in Venedig eine Handelsniederlassung besaß. Durch das Nürnberger Pestjahr von 1483/84 dürften die Imhoffs die Pest auch aus eigener Anschauung gekannt und zugleich von ihr profitiert haben, denn in Pestzeiten stieg die Nachfrage nach Räucherwerk, aromatischen Gewürzen und Safran. Diese mochte dazu beigetragen haben, dass Peter Imhoff d.Ä. 1485/90 in seiner Heimatstadt einen Altar mit Pfründstiftung und Heiligenfest für den Hl. Rochus stiftete, ein Meisterwerk der Spätgotik, das heute noch an seinem alten Platz in der Nürnberger Lorenzkirche zu bewundern ist – und eine besonders naturalistisch gearbeitete Pestbeule aufweist.
Fritz Dross u. Marion M. Ruisinger: Krisenzeiten: Pest, Lepra und ihre Patrone. In: Heilige und Heilkunst. Ingolstadt 2009 ( Kataloge des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt 33), S. 23–38.
Prof. Dr. Marion Ruisinger