Wenn ein Arzt in der Frühen Neuzeit eine Diagnose stellen wollte, betrachtete er den Körper des Patienten und seine Körperausscheidungen sorgfältig. Vor allem aber führte er ausgiebige Gespräche mit dem Kranken und seinen Angehörigen, um sich ein möglichst detailliertes Bild seiner Lebensgewohnheiten und seiner Beschwerden zu verschaffen. Der für uns heute oft diagnoseleitende Blick in das Innere des kranken Körpers etablierte sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts: Endoskope machten die Wandungen von Harnröhre, Harnblase und Magen sichtbar, der Augenspiegel rückte die Netzhaut ins Bild, gegen Ende des Jahrhunderts wurde der Körper durch die von Wilhelm Conrad Röntgen (1845–1923) entdeckten Strahlen sogar durchsichtig.
Der erste große Wandel von den frühneuzeitlichen Untersuchungsmethoden zur modernen Diagnostik war allerdings nicht dem Auge, sondern dem Ohr zu verdanken. Perkussion und Auskultation machten es möglich, in den Körper des Kranken hineinzuhören und auf akustischem Wege Informationen über den Charakter und die Ausdehnung einer pathologischen Veränderung zu gewinnen. Dafür wurden neue technische Instrumente ersonnen: das Plessimeter, der Perkussionshammer und das Stethoskop. Das hier gezeigte Diagnostikbesteck aus der Mitte des 19. Jahrhunderts vereint die drei Instrumente in einem flachen Etui aus schwarzer Pappe, das in jede Manteltasche passte.
Das geschweifte Plessimeter aus Elfenbein weist eine drei Zentimeter lange Millimeterskala auf. Es ist über Scharniere mit zwei verchromten Metallzungen verbunden, die bei seiner Anwendung nach oben abgewinkelt und mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand gefasst wurden, um das Plessimeterplättchen auf dem Patientenkörper aufzusetzen. Die Perkussion erfolgte mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf das Elfenbeinplättchen. Der Wiener Arzt Gustav von Gaal empfahl in seinem 1846 erschienen Lehrbuch zur physikalischen Diagnostik die Anwendung des Plessimeters „an der Rückenfläche des Thorax jederzeit, ferner zur Untersuchung des Bauches, bei musculösen, fetten Individuen, bei vollbusigen Frauen und um auch den Widerstand, den der anklopfende Finger erfährt, als diagnostisches Zeichen zu benützen.”
Statt des Zeigefingers konnte auch der zierliche Perkussionshammer verwendet werden, um einen kräftigeren Schall zu erreichen. Der Griff des Hammers besteht aus Sandelholz, der kegelförmige Metallkopf hat eine auswechselbare, abgerundete Spitze aus Hartgummi. Gaal sah dieses Hilfsmittel kritisch: „In der neuesten Zeit wurden verschiedene Perkussionshämmer ersonnen, die aber fast alle, wenn nicht zweckwidrig, doch wenigstens nutzlos sind.” Der beste Perkussionshammer, so Gaal weiter, sei der von Max Anton Wintrich (1812 bis 1882) erfundene. Der junge Dozent an der Universität Erlangen hatte sich die Verbesserung der physikalischen Diagnostik zur Aufgabe gemacht und 1841 einen modifizierten Perkussionshammer vorgestellt.
Die Aussagekraft der Perkussion wurde durch ihre Kombination mit der Auskultation erweitert und vergrößert. Zu dem Diagnostikset gehört deshalb auch ein monaurales Stethoskop. Es ist aus schwarz lackiertem Holz in zwei Teilen gefertigt. Das runde, flache Ohrstück konnte abgeschraubt werden, um das Stethoskop platzsparend in dem Etui unterzubringen. Gaal war kein Freund dieses Instruments. Er betonte die Vorzüge der unmittelbaren Auskultation mit dem „unbewaffneten Ohr”. Das Ohr, so sein Argument, „ist ein vor allen, selbst den besten Stethoscopen unersetzbares Instrument, auch wird jeder Arzt schneller unmittelbar auscultiren lernen, als mittelst des Hörrohres.” Er räumte jedoch ein, dass es in manchen Situationen schicklicher und angenehmer sei, das Instrument zu verwenden: „Das Anlegen des Ohres an den weiblichen Busen verbietet das Zartgefühl, ebenso dürfte das Stethoscop bei Untersuchung des Bauches sich anständiger anwenden lassen, und nach Bedarf besser in die Bauchdecken eindrücken lassen, als der Kopf des Auscultirenden.”
Das Diagnostikset ist zurzeit als Leihgabe in der Ausstellung „Praxiswelten. Zur Geschichte der Begegnung von Arzt und Patient” im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité zu sehen. Es symbolisiert dort den Würzburger Pathologieprofessor Conrad H. Fuchs (1803–1855) und den neuen ärztlichen Blick, den dieser seinen Studenten im Rahmen der Krankenbesuchsanstalt vermittelte.
Isabel Atzl, Roland Helms, Stephanie Neuner, Ruth Schilling (Hg.): Praxiswelten. Zur Geschichte der Begegnung von Arzt und Patient. Ingolstadt 2013 (Kataloge des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt 39), S. 121
Gustav von Gaal: Physikalische Diagnostik und deren Anwendung in der Medicin, Chirurgie, Oculistik, Otiatrik und Geburtshilfe [...]. Wien 1846, S. 71–87
Steffen Schlee: Max Anton Wintrich (1812–1882) und die Einführung der physikalischen Diagnostik an der Universität Erlangen im 19. Jahrhundert. Diss. Erlangen 2007
Prof. Dr. Marion Ruisinger