Deckenfresko

Bei der Eröffnung des Deutschen Medizinhistorischen Museums im Jahr 1973 war der Mangel an Objekten so offensichtlich, dass die Verantwortlichen immer wieder das gut gemeinte Trostwort zu hören bekamen: „Das schönste Ausstellungsstück ist das Gebäude”. Inzwischen verfügt das Museum über reich bestückte Vitrinen und umfangreiche Sammlungsbestände zur Geschichte der Medizin. Und dennoch gilt der Ausspruch von damals immer noch, denn das barocke Gebäude und der passend dazu angelegte Arzneipflanzengarten tragen wesentlich zum Charme des Museums bei. Besonders spürbar wird dies im ehemaligen Anatomiesaal, dessen Deckenfresko das Selbstverständnis der zeitgenössischen Medizin zum Ausdruck bringt.

Das Fresko wurde von dem Ingolstädter Maler Melchior Buchner (gest. 1758) um 1730 angefertigt und im Zuge des Rückbaus der Alten Anatomie für die museale Nutzung 1970/72 von Manfred Fronske restauriert. Sein Bildprogramm entschlüsselte Siegfried Hofmann, der als Stadtarchivar und Kulturreferent wesentlich an der Museumsgründung beteiligt war: „Es zeigt über einem Torbau in hellem Licht die Sapientia Dei, unter ihr mit fliegenden Haaren und einem Strauß Blumen in der Hand die Logica in ihrer zentralen Rolle für alle Wissenszweige, zu ihrer Rechten auf Wolkenkissen die Medicina mit dem Hahn, zu ihrer Linken Ceres/Demeter. Zwei Gruppen schreiten auf das Tor zu: rechts die der Medizin verbundenen Disziplinen, angeführt von der Grammatica, beschlossen von der Botanik, auffallend die Chemie/Pharmazie mit dem Mörser, die Experimentalphysik mit der Luftpumpe und die Astronomie mit dem Fernrohr, links die Gruppe der zwölf Monate”. Die Medizin tritt hier noch mit ihrem traditionellen Fächerkanon auf, der auch die Beschäftigung mit Physik, Chemie, Astronomie und Botanik umfasst. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wird sie diese Wissensbereiche an die naturwissenschaftlichen Fakultäten abgeben.

Die allegorischen Figuren sind vor einem kulissenartigen Gebäude gruppiert, das die Architektur des Anatomiegebäudes zu zitieren scheint. So wird die medizinische Forschung und Lehre an der Universität Ingolstadt, für die das Gebäude Anfang des 18. Jahrhunderts errichtet wurde, unmissverständlich der „Sapientia dei”, der Weisheit Gottes, untergeordnet. Dies galt insbesondere für diejenige medizinische Disziplin, der dieser Raum gewidmet war: die Anatomie

Unter dem Auge Gottes stand einst der Seziertisch, umgeben von dem „Amphiteatrum mobile”, den ansteigenden Stehrängen, die in der kalten Jahreszeit für die Studenten und andere Zuschauer errichtet wurden. Diese enge, geradezu programmatische Verbindung von Anatomie und Religion wirkt auf die heutigen Museumsbesucher häufig befremdlich, zumal viele der – irrigen – Meinung sind, dass die Zergliederung des menschlichen Körpers früher von der Kirche verboten gewesen sei. Das Gegenteil wird hier deutlich: Der menschliche Körper wurde als Krönung der göttlichen Schöpfung, ja sogar als Ebenbild Gottes verstanden. Wenn bei der öffentlichen Sektion sein wunderbarer Bauplan demonstriert wurde, waren sich alle Beteiligten bewusst, die Handschrift Gottes vor sich zu haben. Die Zergliederungskunst konnte so die Funktion eines Gottesbeweises annehmen. Das ist auch den Einladungen zu öffentlichen Sektionen zu entnehmen, die von den Anatomieprofessoren in Druck gegeben wurden. Hier ein Beispiel aus der Universität Altdorf von 1715: „Ad Anatomen cadaveris foeminini aqua suffocati in theatro publico anatomico [...] eos [...] qui [...] miracula dei admirari gestiunt [...] invito“. (Zur Zergliederung eines weiblichen, im Wasser ertrunkenen Leichnams lade ich diejenigen in das öffentliche anatomische Theater ein, die danach Verlangen tragen, die Wunder Gottes zu bewundern).

 

Literatur:

Frank Becker, Christina Grimminger, Karlheinz Hemmeter (Hg.): Stadt Ingolstadt. München 2002 (Denkmäler in Bayern, Bd. I.1), S. 40–42

Siegfried Hofmann: Die Alte Anatomie in Ingolstadt. Ihr Schicksal als Institution und Gebäude. München 1974

Siegfried Hofmann: Das Gebäude. Geschichte und Architektur. In: Deutsches Medizinhistorisches Museum. Braunschweig 2. Aufl. 1995, S. 10–19.

Jörn Henning Wolf: Sammlungsaufbau und erste Ausstellungstätigkeit. Reminiszenzen an die Jahre 1971–1983. In: Mit Sinn und Verstand. Eine Ausstellung für Christa Habrich. Ingolstadt 2010 (Kataloge des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt 35).


Autorin:

Prof. Dr. Marion Ruisinger

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