Augenfarben-Tafel

Das schmale und mit einem Glasaugensatz bestückte Edelstahl-Kästchen aus der Sammlung des Deutschen Medizinhistorischen Museums wirkt auf den ersten Blick recht harmlos. Es handelt sich um eine sogenannte Augenfarben-Tafel in den Nuancen Hellgrau bis Dunkelbraun, wie sie der Münchner Medizinverlag J. F. Lehmanns in den 1920er bis 1940er Jahren in größerer Zahl vertrieb. Das Instrument, das eine exakte Bestimmung von Augenfarben ermöglichte, war um 1914 von dem Anthropologen Rudolf Martin erdacht und später durch dessen Fachkollegen Bruno K. Schultz weiterentwickelt worden. Augenfarbentafeln kamen in erbbiologischen Vaterschafts-, „Rassen-” und Abstammungsgutachten zum Einsatz, bei denen die Augenfarbe etwa von Kindern mit derjenigen der Eltern verglichen werden sollte. Jede Augenfarbe war durch eine Nummer auf der Tafel eindeutig definiert.

Wie eine Gravur auf dem Deckel ausweist, stammt das Objekt aus dem Besitz von Professor Dr. Eugen Fischer, erster Direktor des 1927 auf seine Initiative hin gegründeten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin-Dahlem. Der 1874 geborene Fischer war einer der bedeutendsten Anthropologen seiner Zeit und genoss aufgrund seiner Arbeiten zur Abstammung des Menschen bis zu seinem Tod im Jahr 1967 international hohes Ansehen. Er hatte bei seinen Forschungen als erster die klassischen anthropologischen Untersuchungsverfahren der deskriptiven Körpervermessung mit den Methoden der − damals vor allem mit genealogischen Quellen arbeitenden − menschlichen Vererbungsforschung kombiniert. International bekannt geworden war er bereits 1913 durch seine Studie „Die Rehobother Bastards und das Bastardierungsproblem beim Menschen”, für die er im Rahmen mehrmonatiger Feldforschungen in der damaligen Kolonie in Deutsch-Südwest-Afrika (heute: Namibia) die Nachkommen weißer burischer Väter und schwarzer Mütter anthropologisch untersucht hatte. In der Schrift, die bis in die 1960er Jahre hinein mehrfach neu aufgelegt wurde, plädierte Fischer für ein „Mischehenverbot” in den Kolonien.

Als noch folgenreicher erwies sich das Buch „Menschliche Erblehre und Rassenhygiene”, das Fischer 1921 zusammen dem Vererbungsforscher Erwin Baur und dem Eugeniker Fritz Lenz publizierte und das zum führenden deutschen Lehrbuch in diesem Bereich wurde. Darin forderten die Autoren unter anderem Eheverbote und eine Sterilisation Behinderter, um die Weitergabe „minderwertigen Erbguts” zu verhindern. Adolf Hitler, der das Buch 1923/24 in der Landsberger Haftanstalt las, verarbeitete wesentliche Gedanken daraus in seiner Schrift „Mein Kampf”.

Fischer muss als unmittelbarer Wegbereiter der nationalsozialistischen „Rassenideologie” gelten. Er diente dem NS-Regime zudem später als sachverständiger Berater für „Rassenhygiene”, etwa als es um die Zwangssterilisation der sogenannten „Rheinlandbastarde”, Kinder deutscher Frauen mit französischen Kolonialsoldaten afrikanischer und asiatischer Herkunft aus der Zeit der Rheinlandbesetzung 1920 bis 1927, ging.

Augenfarben-Tafeln, wie die aus Fischers Besitz, wurden in der NS-Zeit etwa zur Anfertigung von „Rassen-” und Abstammungsgutachten für Juden sowie Sinti und Roma genutzt. Um ihre „blutsmäßige Abstammung" zu ermitteln, wurden viele dieser Menschen durch Anthropologen und „Rassenforscher” untersucht. Die Explorationen schlossen auch eine genaue Vermessung des Schädels, der Ohren, der Nase und des übrigen Körpers sowie eine Bestimmung von Augen- und Haarfarbe ein. Die Entscheidung, welche die wissenschaftlichen Gutachter in jenen Stellungnahmen zur Frage der „Rassenzugehörigkeit” fällten, war zugleich eine Entscheidung über das künftige Schicksal der betroffenen Menschen.

 

Korrespondenzadresse:

Dr. Astrid Ley
Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
16515 Oranienburg
E-Mail: ley(at)stiftung-bg.de

Anatomiestraße 18 – 20 · 85049 Ingolstadt · (0841) 305-2860 · Fax -2866 · E-Mail: dmm@ingolstadt.de