Aderlass Schnäpper

„Nach Wahldebakel: Aderlass zum Neuanfang der FDP”, so titelte die Süddeutsche Zeitung nach der Bundestagswahl am 26. September. Kein Zweifel, mit „Aderlass” ist hier eine Schwächung gemeint, ein Entzug von Menschen, Macht und Mitteln. Diese negative Konnotation des Aderlass-Begriffs hat sich bei uns inzwischen fest eingebürgert. Doch bis in das 19. Jahrhundert war er ein Hoffnungsträger, galt er doch als eine der wichtigsten Maßnahmen zum Erhalt der Gesundheit und zur Heilung von Krankheit. Seine Durchführung lag in der Hand des handwerklich ausgebildeten Baderchirurgen. Er griff dafür zu einem speziellen Instrument: einer Fliete, einer Aderlass-Lanzette oder einem – hier abgebildeten – Aderlass-Schnäpper.

Ein guter Bader beherrschte die Kunst, an den unterschiedlichsten Stellen am Körper Venen zu eröffnen, von der Schläfe bis zum Fußrücken. Historische Abbildungen zeigen jedoch in der Regel den Aderlass am Arm: Der Patient saß auf einem Stuhl und streckte den Arm horizontal von sich weg. Meist griff er dabei einen Stab, der auf der Erde stand, um den Arm ruhig zu halten. Der Bader staute das Blut durch ein rotes Stoffband am Oberarm, so dass die Venen in der Ellenbeuge deutlich hervortraten. Nun nahm er den Schnäpper zur Hand, drückte den über der Klinge herausragenden Hebel mit dem Daumen kräftig hoch, um den Federmechanismus anzuspannen, und setzte die Klinge parallel zum Verlauf des Gefäßes auf die Vene auf. Ein kurzer Druck auf die seitlich am Schnäpper angebrachte Auslösevorrichtung, und die Klinge schlug blitzschnell in die Vene hinein. Das austretende Blut wurde in der Aderlass-Schale aufgefangen. War die gewünschte Menge entzogen, wurde die Staubinde wieder geöffnet und ein Verband angelegt. Das Setting des  Aderlasses am Arm erinnert an die uns vertraute Situation bei der Blutabnahme oder der i.v.-Injektion. Und das mit gutem Grund: Beide Verfahren sind in direkter Folge aus dem Aderlass der Vormoderne entstanden.

Menge und Lokalisation des Blutentzugs wurden beim therapeutischen Aderlass vom behandelnden Arzt in Abhängigkeit vom Grundleiden festgelegt. Beim präventiven Aderlass, der von den betreffenden Personen im Rahmen ihrer Frühjahrs- und Herbstkuren eigenständig veranlasst wurde, richtete sich der Bader dagegen nach den Wünschen seiner Kunden. Grundsätzlich sollte der Aderlass abgebrochen werden, sobald sich eine beginnende Ohnmacht abzeichnete. Aus dem Praxisjournal eines Nürnberger Arztes geht hervor, dass bei präventiven Aderlässen im 18. Jahrhundert zwischen 180 und 300 Gramm Blut entzogen wurden, also nicht mehr als bei der Blutspende heute.

Der Aderlass galt wegen seiner Alltäglichkeit als Anfängeroperation, an der sich die Baderlehrlinge in ihrer Geschicklichkeit üben konnten. Lorenz Heister, Autor des 1719 in Nürnberg erschienenen, einflussreichen Lehrbuches der Chirurgie, sah dies anders. „Der Aderlass”, so Heister, werde zu Recht „vor eines von den besten Mitteln befunden, welche man in der gantzen Medicin hat”, die damit verbundenen Schwierigkeiten würden aber häufig unterschätzt. In vielen Fällen sei er zwar sehr leicht durchzuführen, aber es bestünde immer die Gefahr, durch einen unglücklich gesetzten Schnitt benachbarte Strukturen wie Nerven, Sehnen oder Arterien zu verletzten. Dies sei schon „den allerbesten und geschicktesten Meistern begegnet” – ein Anfänger könne dadurch aber „ohne sein Verschulden in üblen Credit und Renommeé kommen”. Deshalb soll sich ein Wundarzt angewöhnen, den Aderlass nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, sondern ihn stets „mit guter und behöriger Attention zu verrichten”.

 

Literatur:

Lorenz Heister: Chirurgie. 2. Aufl. Nürnberg 1724 (Kap. „Vom Aderlassen“, S. 357–379)


Autorin:

Prof. Dr. Marion Ruisinger

Anatomiestraße 18 – 20 · 85049 Ingolstadt · (0841) 305-2860 · Fax -2866 · E-Mail: dmm@ingolstadt.de