Amtliche Bescheinigung für den Impferfolg | „Flatten the Curve“, heißt derzeit die Devise. Die Geschwindigkeit, mit der sich das neuartige Corona-Virus verbreitet, soll verlangsamt werden, um das Gesundheitssystem zu entlasten und Zeit zu gewinnen. Doch Zeit wofür? Zeit für die Verbesserung der Testmethoden, Zeit für die klinische Prüfung von Medikamenten – vor allem aber, das ist derzeit wohl der größte Hoffnungsträger, Zeit für die Entwicklung einer gut verträglichen und wirksamen Impfung, die all diese Maßnahmen überflüssig machen würde. Dann könnte man durch Impfkampagnen eine so große Herdenimmunität erzielten, dass die Infektionswege ins Leere laufen. Bei anderen viralen Erkrankungen, etwa bei Kinderlähmung und Masern, ist das schon gelungen, auch wenn der Immunisierungsgrad in der Bevölkerung durch passive Impfmüdigkeit oder aktive Impfgegnerschaft gelegentlich Gefahr läuft, unter eine für die Gemeinschaft sichere Schwelle abzusinken. Bei solchen Entwicklungen kommt immer wieder ein Schlagwort ins Spiel: der Impfzwang.
Dabei hat die Idee der Zwangsimpfung nichts mit epidemiologischer Medizinstatistik zu tun. Der Impfzwang ist viel älter als unser Wissen um Viren und Bakterien. Seine Geschichte führt über 200 Jahre zurück – und zwar nach Bayern: Am 26. August 1807 erließ König Maximilian I. das erste Impfgesetz der Welt. Die Verordnung mit dem Titel „Die in sämtlichen Provinzen gesezlich einzuführende Schuzpocken-Impfung betreffend“ legte fest, dass alle Kinder vor Vollendung des dritten Lebensjahres gegen Pocken (Variola) oder, wie die gefürchtete Krankheit damals auch hieß, gegen „Kindsblattern“ geimpft werden müssen. Bei Zuwiderhandlung kam es zwar nicht zu einem Zwangsvollzug der Impfung, aber zu empfindlichen, jährlich wiederholten Geldstrafen von bis zu 32 Gulden. Im Gegenzug verpflichtete sich die Regierung, der Bevölkerung zweimal im Jahr die Möglichkeit zu bieten, ihre Kinder kostenlos durch approbierte Ärzte impfen zu lassen. Dazu gehörte nicht nur die Durchführung der Impfung, sondern auch die spätere Kontrolle der Impfreaktion und das Ausfertigen des Impfscheines. Dieses Dokument musste gut aufbewahrt werden. Seine Vorlage wurde immer wieder gefordert, wenn Impflinge im Laufe ihres Lebens in den Blick der Obrigkeit kamen, etwa bei der Einschulung, bei der Musterung oder bei der Heirat.
In der Handschriftensammlung des DMMI befinden sich etliche solcher Impfscheine aus unterschiedlichen Jahrzehnten. Häufig sind dies, wie auch bei dem hier ausgewählten Exemplar, vorgedruckte Formulare, die später handschriftlich ergänzt wurden. Dieser Schein gehört zum Eintrag 1837/143 der Impfliste des Bezirkes Pfaffenberg (heute Landkreis Straubing-Bogen). Er bestätigt, dass die kleine Maria Josepha Steinberger, geboren am 5.9.1836 in Allkofen, am 10.4.1837 in Pfaffenberg geimpft wurde und bei der Kontrolle am 17.4.1837 der „unzweifelhafte Erfolg“ der Impfung festgestellt worden sei.
Vielleicht fragen Sie sich jetzt, in welchem Labor damals der Impfstoff entwickelt wurde? Die Antwort mag verblüffen: im Kuhstall. Der englische Arzt Edward Jenner hatte beobachtet, dass Menschen, die sich an Kühen mit den (bei Menschen mild verlaufenden) Kuhpocken angesteckt hatten, später immun gegen die (für Menschen sehr gefährlichen) echten Pocken waren. Außerdem kannte er die Jahrzehnte zuvor aus dem osmanischen Reich importierte Methode der „Variolisation“, bei der man die Flüssigkeit aus den Pockenbläschen kranker Kinder in die Haut gesunder Kinder einritzte und so eine – im Idealfall milde – künstlich hervorgerufene Pockenerkrankung auslöste, damit die Kinder später beim Ausbruch von Menschenpocken-Epidemien gesund blieben. Doch die Variolisation war ein Spiel mit dem Feuer. Es gab auch Impflinge mit schweren, ja sogar tödlichen Verläufen der „künstlichen Pocken“. Jenners Verdienst war es, die Beobachtung aus dem Kuhstall mit der Impfmethode aus dem Orient zu verknüpfen: so entstand die „Schutzpockenimpfung“, bei der die Flüssigkeit aus den Pockenbläschen von der Kuh in die Haut von gesunden Kinder eingeritzt wurde. Nach dem italienischen Wort für Kuh – la vacca – nannte man diese Art der Impfung auch „Vakzination“. Im englischen Sprachraum wurde dies zum Begriff der Impfung schlechthin.
Literatur:
Königlich-Baierisches Regierungsblatt, München 1807, Spalten 1426-1437.
Link zum Digitalisat bei der Bayerischen Staatsbibliothek
Autorin:
Prof. Dr. Marion Ruisinger
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt
www.dmm-ingolstadt.de
geschrieben im Homeoffice, veröffentlicht in der Galerie Covid-19 & History am 2.4.2020