Heilmittel VI

Mit „Regiment-Büchern“ gegen eine neue Seuche | „Eine neue Art von Krankheit befiel urplötzlich das ganze Land; es war eine unheilvolle Seuche, wie keine frühere Zeit sie jemals erlebt hatte. Ein plötzlicher tödlicher Schweiß befiel den Körper und gleichzeitig brannten Kopf und Bauch durch ein mörderisches Fieber.“ (Vergil 1534). Fassungslosigkeit spricht aus diesem Bericht, ähnlich wie wir es in diesen Tagen immer wieder angesichts der sich überschlagenden Corona-Meldungen erleben. Doch hier vernehmen wir keinen Berichterstatter aus den aktuellen Schwerpunkten der Pandemie des Jahres 2020, sondern einen englischen Chronisten, der die Geschehnisse des Jahres 1485 in London schildert. Damals wurde England von einer bis dahin unbekannten Krankheit heimgesucht.

Was das für eine Krankheit war? Wir wissen es nicht. In die Geschichte ging sie ein als der „Englische Schweiß“, eine Krankheitsbezeichnung, die auf die regionale Ausbreitung und das auffälligste Krankheitssymptom verweist. Der „Englische Schweiß“ hinterließ keine Objekte in den Sammlungen, die sich für eine Präsentation in der Galerie „Covid-19 & History“ eignen würden. Alles, was wir von dieser geheimnisvollen Krankheit wissen, basiert auf zeitgenössischen Texten. Einer davon, das 1529 erschienene „Regiment gegen den Englischen Schweiß“ des Marburger Arztes Euricius Cordus (1486-1535), soll als Stellvertreterobjekt für die Seuche dienen. Was erfahren wir aus diesem und anderen Ratgebern über die „neue Krankheit“ und die dagegen entwickelten Heilmittel?

Doch zunächst zurück zu den Geschehnissen im Sommer 1485. Der Beginn der Seuche fiel zusammen mit einem zentralen Ereignis der englischen Geschichte, nämlich der Machtübernahme des späteren Heinrich des VII. Tudor (1457-1509) nach der Schlacht von Bosworth Field am 22. August 1485. Heinrich der VII. war mit einem großen Heer bestehend aus flandrischen und französischen Söldnern aus Frankreich übergesetzt. Schon auf den Schiffen hatten sehr beengte und hygienisch katastrophale Zustände geherrscht. Vor und während der Entscheidungsschlacht in Bosworth Field, in der König Richard III. (1452-1485) geschlagen wurde, aber insbesondere danach trat der Englische Schweiß erstmals unter den Soldaten auf.

Nach dem Sieg zog das Heer nach London, wo sich große Volksmengen für die bevorstehende Krönung versammelt hatten. In dieser besonderen Situation kam es offenbar zu einem großen Seuchenausbruch, der historischen Angaben zufolge 15.000 Menschenleben forderte. Bei einer Stadtbevölkerung von etwa 125.000 Londonern zu diesem Zeitpunkt wäre das jeder 10. Einwohner gewesen, wenn auch die Zahlenangaben der zeitgenössischen Chroniken nicht auf exakte Erhebungen, sondern eher auf Schätzungen beruhten. Die neue Krankheit zeichnete sich durch stärkste Schweißausbrüche und Fieber aus und ging mit einer horrenden Sterblichkeit einher. Meist erlagen ihr Männer in den besten Jahren, oft nach weniger als 24 Stunden Krankheitsdauer.

Als die neue Krankheit England traf, waren die Menschen ihr zunächst machtlos ausgeliefert. Es wurde sogar behauptet, dass die anfänglichen Empfehlungen, während des Fiebers überhaupt nicht zu trinken und das Schwitzen zu befördern, eher nachteilig wirkten. Im Verlauf entwickelten sich jedoch Strategien für einen günstigeren Verlauf, die in Flugblättern und „Regiment-Büchlein“ verbreitet wurden, wie in dem hier gezeigten des Euricius Cordus. Es bezog sich auf den Seuchenausbruch von 1528/1529, der von England ausgehend auch den europäischen Kontinent betraf. Grundsätzlich wurde angeraten, die Kranken unter leichte Decken ins Bett zu legen und sie mäßig schwitzen zu lassen. Für 24 Stunden sollte nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig getrunken werden, feste Nahrung war eher zu vermeiden. War der erste Tag überstanden, erholte sich der Kranke meist. Er sollte dann in ein sauberes Hemd umgekleidet und in frisches Leinen gebettet werden.

Diese und weitere Ratschläge wurden durch die eilig gedruckten Ratgeber verbreitet. Doch diese wurden schon bald wieder zu Ladenhütern: Bis 1551 suchte die Krankheit in fünf Wellen vor allem England, aber auch den europäischen Kontinent heim, dann verschwand sie spurlos. Sie hinterließ einen Stapel frühneuzeitlicher Ratgeberliteratur, ein gutes Dutzend wissenschaftlicher Theorien folgender Generationen zur Ursache der Seuche sowie ein medizinhistorisches Rätsel, das noch nicht vollständig gelöst werden konnte. Die Ursache des Englischen Schweißes ist bis heute unklar, wenn inzwischen auch ein Virus als Auslöser angenommen wird.

Autorin:
Sophie Seemann, Ärztin in Berlin
Assoziierte Wissenschaftlerin am Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité

Literatur:
- Carmichael, Ann: Sweating Sickness. In: The Cambridge World History of Human Disease. Kenneth Kiple (Hrsg.), Cambridge 1993, S. 1023-1025
- Cordus, Euricius: Ein Regiment / Wie man sich vor der Newen Plage / Der Englische Schweis genannt / bewaren / Und so man damit ergrieffen wird / darynn halten soll. Marburg 1529 (link zum Digitalisat der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz)
- Hay, Denys (Hg.): The Anglica History of Polydore Vergil [1534]. London 1950
- Seemann, Sophie: Verschwundene Krankheiten. Berlin 2019

Veröffentlicht am 5.5.2020 als Beitrag für die Galerie Covid-19 & History

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