Sterben IV

Das Symbol der Seuche | In unserer Galerie „Covid-19 & History” haben wir schon mehrmals erwähnt, dass die Chroniken der Frühen Neuzeit zwar von Epidemien berichten, die Krankheit dabei aber nicht immer beim Namen nennen. Oft ist nur die Rede davon, dass eine Stadt von „Sterbensläuften” oder von einem „großen Sterben” heimgesucht worden sei. Die dramatischste Folge der Seuche, das massenhafte Sterben, wird hier zur Metapher, ja zum Synonym der Epidemie schlechthin. So ist es nur konsequent, dass ein bekanntes Symbol des Todes, der Totenschädel mit den gekreuzten Knochen, auch mit der Pest in Verbindung gebracht wird.

Ein solches Schädelmotiv aus unserer Sammlung soll uns in der heutigen Objektgeschichte beschäftigen. Die 47 cm hohe, bemalte Leinwand ist nicht, wie sonst bei Ölgemälden üblich, auf einen Keilrahmen aufgespannt und in einen Rahmen eingelegt. Sie ist vielmehr oben und unten an runden Holzstäben befestigt, die jeweils in einem kugelförmigen Knauf enden. Vermutlich wurde für die Hängung eine Schnur verwendet, die um die freien Enden des oberen Stabs geknotet wurde.

Wie aber hat man sich den Verwendungskontext dieses drastischen Bildes vorzustellen? In der Objektdatenbank ist vermerkt, dass man damit Häuser kennzeichnete, deren Bewohner an der Pest erkrankt waren. Es handele sich mithin um eine „Pestfahne". Dies war wohl auch die Erklärung, die der Kunsthändler dem Bild mitgegeben hatte, als es im Jahr 2006 für die Museumssammlung erworben wurde.

Aber: Leuchtet diese Erklärung ein? Eigneten sich solche Bildfahnen, die doch relativ aufwendig in der Herstellung – und zudem nicht wetterfest – waren, für die Kennzeichnung von Häusern in Pestzeiten? Wie hat man sich den Ablauf im Detail vorzustellen? Gab es bei der Gemeindeverwaltung einen Fundus solcher Pestfahnen, die bei Bedarf an den Häusern aufgehängt werden konnten? Hätte man dafür nicht eher auf einfachere und robustere Lösungen zurückgegriffen, ähnlich den hölzernen Warntafeln, die 1871 bei der Pockenepidemie im niedersächsischen Hornburg zum Einsatz kamen?

Vielleicht ist das Gemälde aber auch als Fahne im üblichen Sinn verwendet worden. Man hätte es ja leicht mit einer Schnur an einer längeren Stange befestigen und bei Prozessionen o.ä. mittragen können. Stand es also gar nicht in einem seuchenpolizeilichen Zusammenhang, sondern eher in einem religiösen, etwa im Sinne eines Memento mori?

Betrachten wir das Bild einmal genauer. Das zentrale Motiv ist von einem gelben Oval gerahmt (gelb ist übrigens die Farbe der Quarantäne). In den verbleibenden Winkeln stehen vier Zahlen: "1 / 8 / 4 / 1". Was hat das zu bedeuten? Wenn damit die Jahreszahl 1841 gemeint sein sollte, lässt sich kein Bezug zu einem Seuchengeschehen herstellen, zumindest nicht zur Pest, die bekanntlich seit der Epidemie von Marseille (1720-1722) nicht mehr in Europa aufgetreten ist. Schauen wir noch einmal ganz genau hin: Die Zahlen wurden erst später aufgemalt. Unter ihnen ist – undeutlich zwar, aber doch erkennbar – eine weitere Zahlenfolge zu erkennen: "1 / 7 / 5 / 3". Wurde die Fahne also für einen Anlass im Jahr 1753 geschaffen und für einen anderen im Jahr 1841 reaktiviert?

Wie schon bei der Elfenbeinfigur eines Pestarztes müssen wir eingestehen: Wir wissen es nicht. Handelt es sich bei diesen beiden Objekten wirklich um Dokumente von historischen Pestausbrüchen oder doch eher um spätere Kreationen? Oder wurden hier frühneuzeitliche Objekte für den modernen Käufermarkt uminterpretiert – frei nach dem Motto "plague sells" (Pest verkauft sich gut)? Wie gesagt, wir wissen es (noch) nicht. Aber wir nehmen gerne sachdienliche Hinweise oder anregende Spekulationen entgegen!

Autorin:
Prof. Dr. Marion Ruisinger
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt
www.dmm-ingolstadt.de

Veröffentlicht in der Galerie „Covid-19 & History" am 11.5.2020

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