Schutzkleidung VI

Wie sah ein Pestarzt denn nun aus? | Der beste Schutz bei Seuchen war schon immer die Flucht. So schrieb schon Hans Folz 1482 „fleuch pald, fleuch ferr, kum wider spot [komm wieder spät] / das sint drey krewter in der not, / für all apptecken vnd doctor". Bald fliehen, weit weg gehen und spät wieder kommen – das konnte sich nicht Jede/r leisten. Manche waren auch durch ihren Berufseid zum Bleiben verpflichtet – etwa die städtischen Pestärzte. Sie versuchten, sich durch Duftstoffe, Räucherungen und geeignete Kleidung vor der Ansteckung zu schützen.

Dass die bekannte Gestalt des vogelähnlich gewandeten Pestarztes dabei so gut wie keine Rolle spielte, haben wir bei der Präsentation der „Pestarztmaske“ aus unserer Sammlung bereits erläutert. Aber wie, bitte schön, hat man sich die Schutzkleidung der Pestärzte dann vorzustellen?

Zeitgenössische medizinische Handbücher empfehlen Ärzten in Seuchenzeiten Kleidung mit langen, an den Handgelenken geschlossenen Ärmeln zu tragen, damit die Krankheitsstoffe nicht unter das Gewand eindringen konnten. Ein möglichst glattes Material sollte verhindern, dass sie an der Oberfläche haften blieben. Als geeignet galt etwa weiches, glattes Leder oder gepresstes Leinen, das zusätzlich durch eine Behandlung mit Öl oder Wachs abgedichtet werden konnte.

Anweisungen zur Verhüllung des Hauptes finden sich hier keine. An anderer Stelle gibt es jedoch Hinweise darauf, dass Ärzte und Pestbedienstete im 17. Jahrhundert ihre Schutzkleidung gelegentlich durch eine Kopfhaube zu ergänzen pflegten. So gibt die 1680 erschienene Pestschrift „Einfältiger Discursus Sanitatis“ eine genaue Anweisung für die Anfertigung einer haubenartigen Kopfbedeckung für Totengräber, Reiniger und Pestbüttner mit Glaseinsätzen vor den Augen.

Solchermaßen verhüllt sahen die Pestärzte vielleicht so ähnlich aus wie diese Elfenbeinfigur aus der Sammlung des DMMI, die einen „Arzt mit Pestschutzkleidung“ darstellen soll. Die Figur wurde 1977 für das Museum im Kunsthandel erworben und war lange in der Dauerausstellung zu sehen. Sie gehört zu den am häufigsten angefragten Objekten unserer Sammlung. So ging sie schon als Leihgabe für Ausstellungen nach Dresden, Frankfurt a. Main, Minden und Regensburg. Aktuell wird sie bei der Ausstellung „Pest!“ im LWL-Museum für Archäologie in Herne gezeigt, von dort geht es dann gleich weiter zur Ausstellung „Black Death!“ im Museum Het Valkhof in Nijmegen/Niederlande.

Unser Pestarzt ist gefragter denn je. Aber zeigt die Figur wirklich einen Pestarzt? Auf was stützt sich diese Zuschreibung? Vielleicht wollte sich die dargestellte Person ja nicht vor dem Krankheitsgift schützen, sondern vielmehr ihre Identität verschleiern? Ganz ähnliche Kleidung kennen wir ja auch vom Ku-Klux-Klan oder von Mitgliedern andalusischer Bruderschaften.

Die Interpretation der Elfenbeinfigur als Pestarzt wird durch eine Abbildung im „Guide Sanitaire des Gouvernemens Européens” (Gesundheitshandbuch der europäischen Regierungen) von 1826 untermauert. Der hier gezeigte, grün gewandete „Quarantänechirurg in Marseille" weist exakt die gleichen Attribute auf wie unsere Figur. Die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend. Das kann kein Zufall sein. Vielleicht gehen ja beide Darstellungen – die Elfenbeinstatuette und der Kupferstich – auf dieselbe Vorlage zurück? Das hieße aber, dass keiner der beiden Künstler einen leibhaftigen Pestarzt vor sich hatte. Oder kannte der Herausgeber des französischen Seuchenhandbuches die Elfenbeinplastik und ließ sie in Kupfer stechen? Oder war es genau anders herum und der Kupferstich diente dem Elfenbeinschnitzer als Vorlage – dann kann die Figur aber nicht, wie bislang angenommen, aus der Zeit um 1700 stammen, sondern wäre erst nach 1826 angefertigt worden. In diesem Fall dürften wir sie eigentlich auch nicht als Illustration des zeitgenössischen Umgangs mit der Pest verwenden – denn die letzte Pest in Europa endete 1722.

Wir kennen die Antwort (noch) nicht. Die Beschäftigung mit der Figur des Pestarztes wirft auf jeden Fall weiterhin viele Fragen auf. Es bleibt spannend!

Autorin:
Prof. Dr. Marion Ruisinger
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt
www.dmm-ingolstadt.de

Literatur:
- Hampe, Th.: Über ein Prosatraktätlein des Hans Folzens von der Pestilenz. In: Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum 1896, S. 83-90
- Robert, L. J. M: Guide Sanitaire des Gouvernemens Européens [...]. Bd. 2, Paris 1826.
- Ruisinger, Marion Maria: Fact or Fiction? Ein kritischer Blick auf den „Schnabeldoktor”. In: LWL-Museum für Archäologie (Hg.): Pest. Eine Spurensuche. Darmstadt 2019. S. 267-274
- Scheuchzer, Johann Jacob: Loimographia Massiliensis. Die in Marseille und Provence eingerissene Pest-Seuche. Zürich 1720

Link zur Pest-Ausstellung in Herne: https://pest-ausstellung.lwl.org/de/

Veröffentlicht in der Galerie „Covid-19 & History" am 9.5.2020

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