Der Krankheit einen Namen geben | Die aktuelle Pandemie wurde von Virologen und Virologinnen getauft. Deswegen ist die Namensgebung auch so kompliziert. Die Bezeichnung „Coronavirus” ist noch vergleichsweise anschaulich. Hier stand der Blick durch das Elektronenmikroskop Pate: Als in den 1960er Jahren die ersten Coronaviren entdeckt wurden, fiel auf, dass sie von einer kranzförmigen Struktur umgeben waren (Kranz = lat. corona). Dieser Kranz wird von den sogenannten Peplomeren gebildet, etwa 20 Nanometer großen, keulenförmigen Strukturen, die überall an der Oberfläche nach außen vorragen.
Wer sich nicht mit der Einordnung des Erregers in die Gruppe der Coronaviren zufrieden geben will, sondern dessen präzise Bezeichnung verwenden möchte, sieht sich mit einem wenig alltagstauglichen Akronym konfrontiert: „SARS-CoV-2”. Solche Abkürzungen, die aus den Anfangsbuchstaben eines längeren Begriffs gebildet werden, sind in der Naturwissenschaft sehr beliebt. Dabei steht SARS für „severe acute respiratory syndrome” (Schweres akutes Atemwegssyndrom), „CoV” für „Coronavirus” und die „2” für die zweite bekannte Variante (in Abgrenzung zu dem Erreger der SARS-Pandemie von 2002/2003). „SARS” bezieht sich mithin nicht auf das Erscheinungsbild des Virus, sondern auf das klinische Bild der von ihm verursachten Krankheit. Eine solche Benennung ist nicht initial möglich, sondern erst nach einer gewissen Phase der Epidemie-Beobachtung. Der Krankheit, die durch dieses Virus ausgelöst wird, wurde schon gleich zu Beginn ein Name gegeben, der keinerlei Bezug zum Krankheitsbild hat: Covid-19 (Corona virus disease 2019), zu lesen als: die 2019 ausgebrochene, von einem Coronavirus ausgelöste Krankheit.
So funktioniert die Benennung einer neuen Krankheit heute. Am Anfang steht der Erreger, nicht die von ihm ausgelösten Beschwerden. Das Wissen aus dem virologischen Labor ist ausschlaggebend für die gewählte Bezeichnung, nicht die Beobachtung am Krankenbett. Wir können eine Infektionskrankheit heute bereits benennen, bevor wir wissen, wie sie aussieht.
Ganz anders in der Zeit vor der Bakteriologie. Damals war meist das Erscheinungsbild der Krankheit namensgebend, etwa bei den mit Bläschen einhergehenden „Blattern”, der mit vergrößerten Lymphknoten imponierenden „Beulenpest” oder der starken Durchfall erzeugenden „Cholera” (gr. chole = Galle), die im deutschen Sprachraum auch als „Brechruhr” bekannt war.
Es gibt sogar eine Krankheit, die ihren Namen von einem Gedicht bekommen hat: die Syphilis. Eben diese Geschichte illustriert das hier gezeigte Gemälde des Münchner Hofmalers Christoph Schwarz (1548-1592). Auf den ersten Blick handelt es sich um eine paradiesisch-idyllische Landschaftsszene. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass der unbeschwerte Eindruck trügt.
Der Brunnen im linken Hintergrund wird von einer Venusfigur gekrönt. Aus ihren Brüsten ergießt sich Wasser in ein Bassin, das einen Bachlauf speist. Dieser fließt unter den Beinen einer auffällig gekleideten, Laute spielenden Frau hindurch (Zeitgenossen verstanden die Bildsprache zu lesen: Es handelt sich hier um eine venezianische Kurtisane). Ein wenig weiter rechts hebt ein pinkelnder Hund das Bein und verunreinigt das Wasser. Folgt man dem Bachlauf weiter, erblickt man einen durstig trinkenden Hirten. Von rechts eilt ein Lanzenträger herbei, um ihn vor dem unreinen Nass zu warnen. Doch zu spät, der Hirte hat bereits davon getrunken.
In der Bildmitte steht ein bärtiger Greis mit einem Buch in der Hand, das ihn als Gelehrten ausweist. Er blickt auf den Trinkenden, deutet mit seiner rechten Hand aber zu den beiden Frauengestalten hinüber. Seine Botschaft: Mit dem Venusbrunnenwasser, das der junge Hirte durstig trinkt, nimmt dieser die Folgen unreiner Liebe in sich auf. Das Bild ist eine Allegorie auf die Ansteckung durch die „Lues venerea”, die „Lustseuche” – übrigens eine Krankheit mit besonders vielen Namen.
Zu Beginn des Jahres 1495 trat unter den Soldaten Karls VIII. von Frankreich bei der Belagerung Neapels ein pockenähnlicher Ausschlag auf. Damals bezeichneten Zeitgenossen ihn zunächst noch als „böse Blattern”, „pustulöse Pest” oder schlicht als „Mal de Naples” (Krankheit aus Neapel). Nach der Auflösung des Söldnerheers verbreitete sich die Krankheit über ganz Europa. Überall hieß sie anders, bis heute sind um die 450 Bezeichnungen für sie überliefert. Gerne verwies man dabei auf die Nachbarn: in Deutschland sprach man von „den Frantzosen”, in Frankreich im Gegenzug vom „Morbus germanicus”; für die Polen war es die „deutsche Krankheit”, für die Russen die „polnische Krankheit” etc. Der sexuelle Übertragungsweg spielte zunächst keine namensgebende Rolle. Erst im 17. und 18. Jahrhundert verwendeten Mediziner bevorzugt die 1546 geprägte Bezeichnung „Lues venerea” (Seuche der Venus).
Durchgesetzt hat sich letztlich die Bezeichnung „Syphilis”. Die aber wurde geprägt durch eine in lateinischen Hexametern verfasste Schrift des veronesischen Dichterarztes und Philosophen Girolamo Fracastoro (1478–1553) mit dem Titel „Syphilis sive Morbus gallicus” (Syphilis oder die französische Krankheit). Dabei handelt es sich um keine medizinische Abhandlung, sondern um ein Lehrgedicht. In drei großen Kapiteln beschreibt Fracastoro zunächst die neue Krankheit und gibt dann Empfehlungen zu ihrer Prävention und Therapie. Im dritten Abschnitt erzählt er, wie es überhaupt zur Entstehung dieser neuen Krankheit kam – und jetzt kommt auch der Hirtenjunge ins Spiel. Er ist der erste Kranke. Sein Name: „Syphilus”.
Bei Fracastoro erkrankt Syphilus allerdings nicht durch unreine Liebe wie auf dem Gemälde, sondern weil er die Götter geschmäht hatte. Diese schleuderten zur Strafe Krankheitspfeile auf ihn herab:
„Syphilus packt sie als ersten / Schlimm wird ihm der Leib zerfressen
Von garstigen Geschwüren / Schmerzend reißt es in den Gliedern
Seine Nächte flieht der Schlaf / Und nach ihm benennt die Menschheit
Heute noch die gleiche Seuche / Es empfänget von ihm die Krankheit
Nun den Namen: Syphilis.”
Und wer ist der alte Mann in der Bildmitte? Klar: Girolamo Fracastoro persönlich, der Taufpate der Syphilis.
Autorin:
Prof. Dr. Marion Ruisinger
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt
www.dmm-ingolstadt.de
Literatur:
- Feucht, Corinna: Medizingeschichte 3D. Kupferstich „Die Lustseuche“ von Johannes Sadeler. In: Bayerisches Ärzteblatt 1-2/2013, S. 56
- Karenberg, Axel: Amor, Äskulap & Co. Klassische Mythologie in der Sprache der modernen Medizin. Stuttgart / New York 2005, S. 150-155
- Wöhrle, Georg: Girolamo Fracastoro. Lehrgedicht über die Syphilis. Bamberg 1988
Veröffentlicht in der Galerie Covid-19 & History am 1.5.2020