Keimfrei durch Wasserdampf | Jetzt ist es soweit. Noch ein paar Tage, und wir alle werden beim Einkaufen und in den öffentlichen Verkehrsmitteln Mund-Nasen-Masken tragen. Die Medien sind voll von Ratschlägen, wie man diese Masken kunstgerecht bastelt, näht, aufsetzt, trägt, abnimmt – und wie man sie richtig reinigt. Denn an der Außenseite der Masken können Viren haften bleiben. Deswegen ist es wichtig, sie nach dem Tragen wieder keimfrei zu bekommen. Und so erinnert man sich wieder an die guten alten Methoden der Sterilisation: Erhitzen im Backofen, Auskochen auf dem Herd, Waschen im Kochwaschgang, und dann am Besten noch heiß bügeln. Und das nicht nur für den privaten Gebrauch, sondern auch für die Stoffmasken, die jetzt bei der professionellen Alten- und Krankenpflege zum Einsatz kommen.
Die professionellen Sterilisationsabteilungen in den Krankenhäusern geben sich schon lange nicht mehr mit der Aufbereitung von medizinischem Mundschutz ab. Der gehört wie vieles andere, was früher aufwendig gewaschen, gebügelt, gefaltet und sterilisiert wurde, heute in den Bereich der Einmalartikel. Masken, Hauben, Schutzkleidung, Abdecktücher und Handschuhe, aber auch Gerätschaften wie Spritzen, Kanülen, Skalpelle, Klemmen, Bürsten und vieles mehr werden nur einmal verwendet und dann „entsorgt". Diese gewaltigen Müllberge der modernen Medizin hat die fridays for future-Bewegung bislang noch in respektvollem Abstand umrundet. Wer weiß, vielleicht führt die kollektive Selbsterfahrung im Maskensterilisieren, die wir in den nächsten Wochen durchlaufen werden, auch zu einem gewissen Umdenken in diesem Bereich? Vielleicht wird man darüber diskutieren, ob nicht ein Teil der medizinischen Einmalartikel ohne Hygiene-Einbußen in den Krankenhäusern aufbereitet und wiederverwendet werden könnte?
Schließlich ist hier, im Krankenhaus, das Verfahren der Sterilisation erstmals im größeren Maßstab zur Anwendung gekommen. Das ist noch gar nicht so lange her – gerade mal 130 Jahre. Damals rangen Chirurgen, Mikrobiologen, Architekten und Instrumentenmacher noch damit, aus den bakteriologischen Erkenntnissen Robert Kochs (1843–1910) praxisrelevante Schlüsse zu ziehen. Einen wesentlichen Anteil an der Etablierung der aseptischen Operationstechnik hatten der Berliner Chirurg Ernst von Bergmann (1836–1907) und sein Assistenzarzt Curt Schimmelbusch (1860–1895). Sie waren nicht die Einzigen, die sich mit der Frage des keimarmen Operationssaals und des keimfreien Operierens beschäftigten, aber sie konnten für die Veröffentlichung ihrer Erkenntnisse eine besonders wirkungsvolle Plattform nutzen: den 10. Internationalen Ärztekongress 1890 in Berlin. 14 Jahre zuvor war es Robert Koch am Beispiel des Milzbrandbazillus erstmals gelungen, die Rolle eines Bakteriums für die Entstehung einer Krankheit nachzuvollziehen.
Ernst von Bergmann und Curt Schimmelbusch zeigten den Kongressteilnehmern in einem eigenen Pavillon die von ihnen entwickelten Gerätschaften zur Sterilisation der Verbandstoffe und demonstrierten deren Wirksamkeit am „Bacillus des blauen Eiters” (Pseudomonas aeruginosa), den die Besucher aufgrund der Verfärbung der Verbandstoffe auch ohne Mikroskop wahrnehmen konnten. Die Resonanz war so überwältigend, dass Curt Schimmelbusch zwei Jahre später seine berühmt gewordene „Anleitung zur aseptischen Wundbehandlung” veröffentlichte, ein systematisch aufgebautes Handbuch, das auf 200 Seiten alle wesentlichen Aspekte des aseptischen Arbeitens behandelte. Das Werk atmet die begeisterte Aufbruchstimmung, in der sich die Chirurgen damals befanden: „Wir operieren mit demselben Vertrauen auf einen tadellosen Wundverlauf bei dem kleinsten Kinde und bei dem Greise, wie bei dem vollkräftigen Mann. Der moderne Chirurg vermeidet nicht mehr ängstlich die Verletzung der Gelenke und Körperhöhlen, sondern unbedenklich öffnet er das Abdomen, öffnet den Schädel und betastet Organe, die den Alten ein noli me tangere waren.”
In dem Kapitel über „Aseptisches Verbandmaterial” findet sich die Abbildung eines „Dampfsterilisators für Verbandstoffe”, der sich heute im Deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt befindet. Der Apparat war von der in Berlin ansässigen Firma Lautenschläger für Ernst von Bergmann angefertigt worden. Bei Drucklegung der Anleitung befand sich der Sterilisator „seit jetzt bald 2 Jahren in der v. Bergmann’schen Klinik in Betrieb, liefert das sterile Verbandmaterial für den Operationsbetrieb und hat sich durchaus bewährt”. Der Sterilisator besteht aus zwei in einander gesteckten kupfernen Zylindern. Der zwischen den Zylindern verbleibende, mehrere Zentimeter breite Raum wurde zum Teil mit Wasser gefüllt, das durch einen darunter befindlichen Schlangenbrenner zum Kochen gebracht werden konnte. Der sich bildende Dampf stieg zwischen den Zylindern in die Höhe und gelangte durch Öffnungen im oberen Bereich in den Binnenraum des inneren Kupferzylinders, in den vorher die Verbandstoffe eingebracht wurden. Bei geschlossenem Deckel konnte der Dampf nicht entweichen, sondern strömte durch das Sterilisationsgut hindurch, um den Sterilisationsraum durch ein unten gelegenes Rohr wieder zu verlassen. Von dem Moment, wo das im Deckel angebrachte Thermometer 100° anzeigte, wurde 45 Minuten sterilisiert. Danach konnten die Einsätze mit dem sterilisierten Verbandmaterial entnommen werden.
Das Sterilisieren in gespanntem Wasserdampf können Sie auch zuhause für Ihre Masken anwenden, wenn Sie über einen Dampfkochtopf verfügen. Im Umkehrschluss wurden die Dampfersterilisatoren der ersten Stunde übrigens auch damit beworben, dass man mit ihnen Kartoffeln dämpfen und Konserven haltbar machen könne. Schon damals lagen Küche und Klink gar nicht soweit auseinander...
Autorin:
Prof. Dr. Marion Ruisinger
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt
www.dmm-ingolstadt.de
Literatur:
Schimmelbusch, Curt: Anleitung zur Aseptischen Wundbehandlung. Berlin 1892 (Nachdruck Saarbrücken 2007)
Veröffentlicht am 23.4.2020 als Beitrag für die Galerie Covid-19 & History