Feiern II

Ein Grund zum Feiern: sauberes Gebirgswasser für Wien | Gründliches Händewaschen mit Seife gilt als eine der wichtigsten Präventionsmaßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus. Heutzutage ist diese Regel leicht zu befolgen, denn jeder Haushalt verfügt über mehrere Leitungen, aus denen das reinigende Nass nach Aufdrehen der Hähne in Strömen fließt. Um 1900 hingegen besaßen nur wenige Menschen eine Wasserquelle direkt in der Wohnung, um potentielle Keime von den Händen zu schrubben. Zwar waren Mietshäuser in Großstädten wie Wien, Berlin oder München meist mit einem frei zugänglichen Wasserbecken in jedem Stockwerk ausgestattet (auf österreichisch liebevoll „Bassena“ genannt). Auf dem Land jedoch war man weiterhin auf einfache Haus- oder Dorfbrunnen angewiesen, um sich mit Wasser zu versorgen. Allerdings waren sowohl die städtischen als auch die ländlichen Quellen aufgrund der Nähe zu den Sickergruben und Misthaufen häufig selbst der perfekte Nährboden für Krankheiten wie Typhus oder Cholera, denn deren Erreger verbreiteten sich hauptsächlich über verseuchtes Trinkwasser.

Ende des 19. Jahrhunderts begannen daher viele Städte, diese Infektionsquellen durch den Bau einer zentralen Wasserversorgung und einer flächendeckenden Kanalisation auszuschalten. Die Wiener Stadtverwaltung etwa gab in den Jahren 1870 bis 1873 den Bau der sogenannten „Ersten Wiener Hochquellenleitung“ in Auftrag. Diese führte das Wasser aus den Quellen im steirisch-niederösterreichischen Grenzgebiet über unzählige Aquädukte rund 95 Kilometer weit bis in die Wasserspeicher vor die Tore Wiens. Die Hochquellenleitung war nicht nur eine technische Meisterleistung, sie konnte Typhus und Cholera auch tatsächlich eindämmen. Nach der Inbetriebnahme ging die Typhussterblichkeit in jenen Stadtgebieten, die an diese Leitung angeschlossen waren, merklich zurück. Allerdings konnte erst die zweite Hochquellenwasserleitung, deren Eröffnung man am 2. Dezember 1910 feierte, den Typhus endgültig besiegen.

Der Fertigstellung genau dieses Bauwerks verdankt die hier gezeigte silberne Schmuckschatulle im Wiener Jugendstil ihre Entstehung. Es handelt sich dabei um eine sogenannte „Damenspende“, die weibliche Gäste des Balls der Stadt Wien im Februar 1911 vom Veranstalter als Präsent erhielten. Von namhaften Künstlern entworfen, spielten derartige kunstgewerblichen Kostbarkeiten durch ihre Gestaltung auf das Motto des jeweiligen Balls oder auf den Veranstalter selbst an. 1899 beispielsweise überreichte man am Ball der Wiener Bäckermeistersöhne einen Backofen im Miniaturformat mit ausziehbarem Backblech, 1892 überraschte das Komitee des Industriellen-Balls die Damen mit dem verkleinerten Nachbau einer Maschine zur Stromerzeugung. Die hier gezeigte Ballspende enthält ein zierliches ovales Album mit Blättern aus festem Karton, auf denen kleine Fotos abgedruckt sind. Sie zeigen die einzelnen Abschnitte der „II. Wiener Hochquellenleitung“, die das Wasser rund 200 Kilometer weit nach Wien transportierte. Abgebildet sind auch die Pumpwerke, die das kostbare Nass von dort aus über die gesamte Stadt verteilten und diese mit sauberem Gebirgswasser versorgte.

Ballspenden erfüllten übrigens auch einen ganz praktischen Zweck: Häufig verbarg sich in diesen Miniaturen ein kleines Heftchen mit der gedruckten Tanzfolge. Darin konnte die Dame die Namen jener Herren eintragen, denen sie an diesem Abend einen Tanz versprochen hatte. Auch auf den hintersten Blättern des Albums in unserer Ballspende befindet sich eine Liste mit den auf dem Ball gespielten Walzer und Quadrillen. Angesichts der ab 1910 langfristig gesicherten Versorgung Wiens mit sauberem und frischem Gebirgswasser konnte am damaligen Ball der Stadt Wien in der Tat ausgelassen bis in den Morgen hineingetanzt werden.

Autor:
Dr. Alois Unterkircher
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt
www.dmm-ingolstadt.de

Literatur:
Bernhard, Fritz, Wiener Ballspenden (= Die bibliophilen Taschenbücher 127), Dortmund 1979.
Spree, Reinhard, Der Rückzug des Todes. Der epidemiologische Übergang in Deutschland während des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Historical Social Research 23 (1998), 4–43
Vögele, Jörg, Sozialgeschichte städtischer Gesundheitsverhältnisse während der Urbanisierung (= Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 69), Berlin 2001
Weigl, Andreas, Demographischer Wandel und Modernisierung in Wien (= Kommentare zum Historischen Atlas von Wien 1), Wien 2000

Veröffentlicht am 13.4.2020 (Ostermontag) in der Galerie Covid-19 & History

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