Kommunikation II

Für die Räucherung perforierter Brief aus den Zeiten der Cholera | In der vorhergehenden Objektgeschichte stellte Dr. Claudia Sachße eine Rastel aus der Sammlung des Deutschen Apothekenmuseums vor, mit der Briefe an den Sanitätsstationen perforiert wurden, um den Effekt der Räucherung zu verbessern.

Das Deutsche Medizinhistorische Museum besitzt in seiner Sammlung zwar (leider!) keine Rastel, aber eine ganze Reihe von „Cholerabriefen“ aus dem 19. Jahrhundert, die noch die Spuren solcher Maßnahmen tragen. Die Bezeichnung „Cholerabriefe“ hat übrigens nichts mit dem Text der Schreiben zu tun, sondern bezieht sich auf die Spuren der Sanitätsmaßnahmen. Nicht ihr Inhalt, sondern ihre Außenansicht macht diese Briefe zu interessanten Objekten für ein medizinhistorisches Museum.

Betrachtet man das vorliegende Exemplar genauer, dann fällt auf, dass die Perforationen hier nicht gleichmäßig angeordnet sind, wie das bei der Verwendung der Rastel der Fall gewesen wäre. Vielmehr sind sie „sternenhimmelartig“ verteilt, so als ob der Brief mit einem schwungvoll geführten Stichel oder Pfriem bearbeitet worden wäre. Möglicherweise war die Sanitätsstation von Stralsund, deren Stempel das Schreiben trägt, zu diesem Zeitpunkt noch nicht optimal mit den notwendigen Geräten ausgerüstet. Noch stand man ja am Beginn der Choleraepidemie – denn der Brief datiert, wie der kleine Stempel rechts unten verrät, aus dem Jahr 1830. Damals breitete die Cholera sich gerade, von Russland kommend, über das Baltikum und Polen nach Mitteleuropa aus. Strenge Grenzkontrollen und Quarantänemaßnahmen waren die Folge. Um den Transport von Waren und den Austausch von Briefen trotz dieser Maßnahmen zu ermöglichen, wurden sie an den Sanitätsstationen geräuchert. Das Räuchern galt seit Jahrhunderten als geeignete Methode zum Reinigen verdächtiger Objekte vom anhaftenden Krankheitsgift, dem „Contagion“. Selbst dieses Schreiben, das von Berlin aus an die „Königliche Hochlöbliche Regierung zu Stralsund“ adressiert war, also innerhalb Preußens verschickt wurde, hatte man dieser sanitätspolizeilichen Maßnahme unterzogen.

Böse Zungen behaupten übrigens, dass bei der Pest, die 1828 auf den griechischen Inseln Hydra und Ägina herrschte, das Räuchern der Briefe zu politischen Zwecken missbraucht worden sei: Präsident Ioannis Kapodistrias, selbst Arzt und ehemals Diplomat am Hofe des Zaren, machte seinen Bruder Viaros zum „außerordentlichen Sanitätsverwalter der Insel Hydra”. Auf seinen Befehl hin, so die politische Opposition, seien Briefe nicht nur geräuchert, sondern auch geöffnet und gelesen worden, um die Regierungsgegner zu bespitzeln...

Noch kurz ein weiterer Blick auf den Brief: Wir sind heute gewohnt, unsere Briefe – sofern wir überhaupt noch zu Papier und Stift greifen – auf einen Briefbogen zu schreiben, den wir dann in einem Briefumschlag verschicken. Die längste Zeit hat man eine andere, papiersparende Methode angewandt: Der einseitig beschriftete Bogen wurde zusammengefaltet, hinten mit einem Siegel verschlossen und vorne adressiert. Nur umfangreichere Briefe steckte man in einen Umschlag. Für die historische Forschung hat dies, nebenbei bemerkt, den großen Vorteil, dass bei vielen Briefen der Adressat oder die Adressatin bekannt ist, selbst wenn er/sie im Brief nicht namentlich angesprochen wird.

Literatur:
- Klaus Meyer: Disinfected Mail. Historical Review and Tentative Listing of Cachets, Handstamp Markings, Wax Seals, Water Seals and Manuscript Certifications Alphabetically Arranged According to Countries. Holton/Kansas 1962
- Marion Ruisinger: Das griechische Gesundheitswesen unter König Otto (1833-1862). Frankfurt  a. M. 1997, S. 47

Autorin:
Prof. Dr. Marion Ruisinger
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt
www.dmm-ingolstadt.de

geschrieben im Homeoffice am 28.3.2020

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