Schutzkleidung I

Schutzkleidung in Seuchenzeiten | Nein, dieser verhüllte Mann ist kein Vertreter des Ku-Klux-Klans und auch kein Mitglied einer andalusischen Semana-Santa-Bruderschaft. Der kolorierte Kupferstich stammt aus einem 1826 in Paris veröffentlichten, zweibändigen „Gesundheitsführer der europäischen Regierungen“. Der Bildunterschrift zufolge ist hier die Kleidung der Quarantäne-Chirurgen in Marseille zu sehen. Sie besteht aus langen Beinkleidern, einer Kutte mit langen, schmal geschnittenen Ärmeln und einer Haube mit Augenlöchern, deren vorderer Zipfel weit über die Brust hängt. Zu der Ausrüstung gehörte ferner ein Stab, von dessen rot glühender Spitze kleine Rauchwölkchen emporsteigen, und ein weißes Tuch. Der Stab diente, auch das wird in der Bildlegende erklärt, zum Ausbrennen von Pestbeulen.

Solche Brenneisen (Kauterien) mit Eisenspitze und Holzgriff waren seit der Antike im Gebrauch, um Geschwüre zu öffnen oder Wunden zu verschorfen. Für gewöhnlich hatten sie ein handliches Format, etwa wie ein großer Schraubenzieher. Ein langes, stabförmiges Brenneisen wie das hier gezeigte wäre extrem ungewöhnlich. Möglicherweise hat man in Seuchenzeiten die dadurch erschwerte Handhabung des Instruments in Kauf genommen, um einen Sicherheitsabstand zum Pestkranken einhalten zu können - „soziale Distanz“ für das medizinische Fachpersonal. Eine andere Lesart wäre, dass sich der Zeichner oder der Kupferstecher geirrt haben und den „Zeige- und Warnstab“, den Pestärzte auf früheren Abbildungen in der Hand hielten, aus Unkenntnis der historischen Gegebenheiten zu einem medizinischen Instrument uminterpretierten. Auf diese Weise würde sich auch eine weitere Unstimmigkeit erklären lassen: Der Chirurg trägt keine Handschuhe. Lederne Handschuhe mit langen Stulpen, die bis über die Ärmel reichten, wurden aber spätestens seit dem 17. Jahrhundert für die ärztliche Schutzkleidung dringend empfohlen. Auch historischen Bildern darf man nicht immer glauben...

Über das Material, aus dem die Schutzkleidung hergestellt war, erfährt man aus der Zeichnung nichts. Für diese Frage müssen andere Quellen herangezogen werden, etwa der Bericht des Schweizer Arztes und Naturforschers Johann Jacob Scheuchzer zur Pest von Marseille im Jahr 1720. Er stützte sich bei seiner Schilderung auf Briefe, die er von dort tätigen Kollegen erhalten hatte: „Der Kleideren halb hat man sich zu hüten vor allem, was auß Tuch, oder Baumwolle gemachet wird, weilen das Gifft sich leicht an dergleichen Sachen henket. Besser sind die leinernen, seidenen, tafteten Kleider, oder von Cameel-Haaren, noch besser, sonderlich vor die, so um die Kranken seyn müssen, dicht lederne, oder gar von Wachs- und Harz-Tuch, welche von denen Marsilianischen Doctoribus sollen gebraucht worden seyn. Alle Kleider aber sollen reinlich gehalten, offt abgeänderet, zuweilen beräucheret, und in freye Lufft gehenket werden.“ Wichtig war demnach vor allem die Oberfläche der Kleidung: Sie musste möglichst glatt sein, damit das „Krankheitsgift“ nicht daran hängen bleiben konnte. Als besonders geeignet galten weiches Leder oder gewachstes Tuch. Diese Empfehlungen galten übrigens nicht nur für Ärzte und Chirurgen, sondern auch für die Pestbediensteten, die betroffene Häuser reinigten oder Umgang mit Pestkranken hatten.

Vielleicht vermissen Sie bei dieser Schutzkleidung die „Schnabelmaske“ des Pestarztes, die für uns zur Bildmetapher der Pest schlechthin geworden ist? Das ist eine andere Geschichte – die wir morgen erzählen werden.

Literatur:
- L. J. M. Robert: Guide Sanitaire des Gouvernemens Européens [...]. Bd. 2, Paris 1826.
- Marion Maria Ruisinger: Fact or Fiction? Ein kritischer Blick auf den „Schnabeldoktor”
In: LWL-Museum für Archäologie (Hg.): Pest. Eine Spurensuche. Darmstadt 2019. S. 267-274
- Johann Jacob Scheuchzer: Loimographia Massiliensis. Die in Marseille und Provence eingerissene Pest-Seuche. Zürich 1720

Autorin:
Prof. Dr. Marion Ruisinger
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt
www.dmm-ingolstadt.de

geschrieben im Homeoffice am 22.3.2020

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