Diagnosestellung II

Quecksilberthermometer zur Messung der Körpertemperatur | Für die Verdachtsdiagnose „Covid-19“ ist Fieber – neben trockenem Husten oder gar Luftnot – das wichtigste Leitsymptom. Um das festzustellen, benötigen wir keine Experten – Fiebermessen können wir schließlich alle. Das dafür benötigte Messinstrument findet sich mehr oder weniger in jedem Haushalt unserer Republik, ob als digitales Thermometer oder – ganz neu – als kontaktloser Scanner. Gerade jetzt greifen viele dazu, sobald sie das Gefühl haben, dass ihre Körpertemperatur steigt.

Dabei ist uns allen klar, dass Fieber nur ein Zeichen („Symptom“) der Krankheit ist, nicht die Krankheit selbst. Nicht nur Covid-19, auch viele andere Infektionskrankheiten weisen dieses Zeichen auf, etwa Influenza oder grippale Infekte. Eine erhöhte Körpertemperatur gibt deshalb nur den Hinweis auf eine Erkrankung. Um welches Leiden es sich genau handelt, kann nur anhand weiterer Diagnostik oder durch die Beobachtung des Krankheitsverlaufs entschieden werden.

Das war nicht immer so: Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein galt Fieber als eigenständige Krankheit. Erst um 1850 veränderte sich die Sicht auf die erhöhte Körperwärme, Fieber wurde nun als Reaktion auf unterschiedliche Grunderkrankungen verstanden. Dies geschah im Zuge einer sich zunehmend naturwissenschaftlich orientierenden Medizin, die die Vorstellungen der Viersäfte-Lehre (Humoralpathologie) langfristig hinter sich ließ.

Die Messung der Körpertemperatur mittels Fieberthermometer hielt vor allem durch die Forschungen der Internisten Carl August Wunderlich (1815-1877) in Leipzig und Ludwig Traube (1818-1876) in Berlin langfristig Einzug in die alltägliche medizinische Praxis. In den ersten Jahren waren noch Assistenzärzte für die anfangs sehr zeitintensive Messung am Patientenbett zuständig. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde sie dann Schritt für Schritt in die Hände der Pflegenden gelegt. Die Krankenbeobachtung gehörte schon immer zu deren zentralen Aufgaben, da sie viel mehr Stunden am Krankenbett verbrachten als die Ärzte. Bislang hatten sie die Wärme des Körpers mit der Hand gefühlt, weitere Zeichen wie starkes Schwitzen oder den Schüttelfrost berücksichtigt und dabei auch das Verhalten des oder der Kranken zur Temperatur in Beziehung gesetzt. Doch nun schob sich ein Instrument zwischen Haut und Hand: Ab 1870 wurde die „subjektive“ Wahrnehmung der Pflegenden vom Fieberthermometer abgelöst, dessen „objektive“ Werte in die Krankenakten übertragen wurden.

Die frühen Thermometer bestanden aus einer in Glas gefassten Quecksilbersäule in einem runden Glasgehäuse. Anhand einer Papierskala konnte die Temperatur abgelesen werden. Anfangs waren die Glasgehäuse mit einer Messingkappe verschlossen. Im Jahr 1890 kam der Drogist Wilhem Uebe in Zerbst/Thüringen auf die Idee, die Thermometer am oberen Ende zuzuschmelzen. So entstand die uns allen bekannte Form des gläsernen Fieberthermometers.

Doch betrachten wir die Skala unseres Thermometers einmal genauer. Sie reicht von 24 bis 46 Grad Celsius. Damit lässt sich die Körpertemperatur des Menschen zweifellos messen. Doch von der schlichten Messung hin zur Beurteilung des Messwertes liegt ein weiterer Schritt. Auf der Basis von Tausenden von Messwerten kristallierte sich ein System heraus: Man begann, ab etwa 37 Grad Celsius vom pathologischen („krankhaften“) Bereich zu sprechen. Diesen differenzierte man weiter aus in die „erhöhte Temperatur“ (37 bis 38 Grad), „Fieber“ (38 bis 39,5 Grad) und „hohes Fieber“ (ab 39,5 Grad). Dieses zeitliche Nacheinander von „Messen“ und „Bewerten“ lässt sich an zahlreichen historischen Fieberthermometern nachvollziehen – so auch an dem hier vorliegenden Exemplar. Wenn man genauer hinsieht, ist die „37“ nämlich erst nachträglich mit roter Farbe auf der Skala angebracht worden. Sie lässt das medizinische Fieberkonzept der Moderne im Objekt sichtbar werden.

Das Thermometer wurde innerhalb kürzester Zeit ein Objekt, das in zahlreichen Haushalten vorzufinden war – und bis heute vorzufinden ist. Bis vor gut 10 Jahren blieb es auch bei den schon 100 Jahre zuvor gefertigten Quecksilbermodellen, auch wenn diese in der Form Veränderungen erfuhren. Sie wurden kürzer und flacher, um das Brechen zu verhindern. Doch mit der Einführung einer EU-weiten Richtlinie sind Quecksilberthermometer seit dem Jahr 2009 verboten, da Quecksilber giftig ist, was vor allem beim Zerbrechen der Instrumente eine Gefahr darstellt. Nun werden elektronische Ziffern zum Krankheitsbegleiter und gerade im Fall von Pandemien zu einem wichtigen Parameter, der entscheidende Hinweise für die Diagnostik liefert.

Autorin:
Isabel Atzl M.A.
Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart
Palliativstation des Krankenhauses Maria Stern, Remagen

Literatur:
- Hess, Volker: Der wohltemperierte Mensch. Wissenschaft und Alltag des Fiebermessens 1850-1900. Frankfurt/ N ew York 2000-
- Atzl, Isabel: Das materiale Erbe der Pflege. In: Artner, Lucia u.a. (Hg.): Pflegedinge. Bielefeld 2017, S. 51-84

Internetquelle:
Homepage der Firma Uebe in Wertheim/Reicholzheim [Zugriff: 5.4.2020], link

Veröffentlicht am 11.4.2020 als Beitrag für die Galerie Covid-19 & History

Anatomiestraße 18 – 20 · 85049 Ingolstadt · (0841) 305-2860 · Fax -2866 · E-Mail: dmm@ingolstadt.de